http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1931/0277
Kleine Mitteilungen.
243
Wir gingen im Garßen spazieren und plauderten angeregt, Ellinor schien die
unglückselige Kette gänzlich vergessen zu haben. Plötzlich schrie sie heiser auf,
die Augen öffneten sich weit, sie blieb stehen und griff mit den Händen nach
dem Halse.
Auch ich erschrak anfänglich, doch beruhigte ich mich sofort, als ich an ihre
schlaflose Nacht dachte, und geleitete Ellinor zur nächsten Bank. Dort sah ich
mir die Perlenkette an, die durch den Spitzeneinsatz des Kleides deutlich durchschimmerte
, und bemerkte in der Mitte — einen doppelt geschlungenen Knoten!
Das Schloß aber war unversehrt!
Als Ellinors Mann von dieser mysteriösen Geschichte erfuhr, lachte er
ebenso wie ich es anfangs tat, aber er beschloß dann doch, uns die „Einbildung
" zu vertreiben. Er nahm Ellinor die Perlenkette ab, legte sie vor unseren
Augen in einen ledernen Juwelensack, schloß denselben in eine eiserne Truhe
ein, die im Schlafzimmer stand, und verwahrte sorgfältig den Schlüssel. Am
anderen Morgen öffnete er in unserem Beisein die Truhe, nahm die Juwelen-
tasche heraus, klappte sie auf und zog mit triumphierender Miene die Perlenschnur
hervor. Doch das Lächeln erstarb auf seinen Lippen: in der Mitte der
Kette war wiederum der Fischerknoten. . .
Die Perlen knoteten sich nun täglich, nicht selten dreimal am Tage. Meine
Schwester entknotete sie stets wieder mit der gleichen ergebenen Miene. Schließlich
ließen wir die Seidenschnur der Perlenkette bei unserem Juwelier in Berlin
nachsehen. Der ehrwürdige Greis war ganz begeistert von der Größe und dem
Glanz der selten schönen Perlen.
Wenige Tage darauf war Ellinors Geburtstag. Sie hatte die Kette seit unserer
Berliner Reise nicht mehr getragen; zu diesem Fest aber — es waren viele Gäste
geladen — durften die Perlen auf keinen Fall fehlen. Also holten wir sie gemeinsam
aus der dunklen Truhe und brachten meine Schwester nach einigem guten
Zureden dazu, daß sie den alten Familienschmuck am Abend tragen wollte. Sie
legte ihn einstweilen auf den Tisch, um schnell noch ihre Toilette zu vollenden.
Ich stand in geringer Entfernung vor dem fraglichen Tisch und sah verträumt
auf die Perlenkette, die schon soviel Aufregung verursacht hatte.
Plötzlich stutzte ich; ich rieb mir die Augen, um mich von der Wirklichkeit
zu überzeugen, und starrte unentwegt auf den Tisch. ... Es war kein Trugbild
, nein — die Perlen wurden lebendig —, die Kette hob und senkte sich in
kleinen Schlangenwindungen, die allmählich immer größer wurden. Schließlich
beschrieb die Kette einen großen Bogen und - stand kerzengerade . . .
Ich habe niemals an übernatürliche Dinge geglaubt; nun lief mir aber doch
ein Schauer über den Rücken. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn und ich
wollte im ersten Augenblick aus dem Zimmer laufen. Doch sammelte ich den
letzten Mut — mit zwei Schritten war ich am Tisch und legte meine Hand auf
die steil in die Höhe ragende Perlenschnur. Sie leistete nicht unerheblichen
Widerstand. Nach einigen Augenblicken aber fiel sie jäh zusammen, als wenn
sie gebrochen wäre. . .
Die ersten Gäste trafen ein, es füllte sich allmählich das Haus. Lustiges
Lachen, Scherzen wurde hörbar, von aufmunternden Trinksprüchen und Gläserklingen
begleitet. Auch Ellinor war vergnügt und gesprächig und dachte schon
lange nicht mehr an die Tücken der Perlenkette, die in dem Schein der vielen
Kerzen, unter dem hauchfeinen Kunstwerk der alten Brüsseler Spitzen noch herrlicher
und geheimnisvoller schimmerte, als je zuvor. Das Entzücken über das
selten schöne, alte Stück war allgemein. —
Das Diner nahm seinen Fortgang; nichts störte die heitere Stimmung. —
Plötzlich schrie Ellinor auf. . . Ihr Gesicht wurde dunkelrot, die Haare sträubten
sich, die Augen traten unnatürlich hervor. Wie ein todwundes Tier stöhnte
sie noch einmal auf; — dann trat ebenso schnell ein Wechsel ein: die angstvoll
verzerrten Züge entspannten sich, das Gesicht wurde totenblaß, und ohnmächtig
sank Ellinor in die Arme ihres Mannes.
Wir brachten sie ins Nebenzimmer und öffneten ihr schnell das Kleid . . .
ein blutroter, zwei Finger breiter Streifen lief rings um ihren Hals . . . Die
Perlenkette zogen wir in Fetzen heraus. Ellinor erwachte nur schwer aus der
tiefen Ohnmacht, das Gehör war fort, doch fand es sich nach zwei Tagen
wieder und der rote Streifen am Halse verblaßte allmählich. . .
17*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1931/0277