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Zeitschrift für Parapsychologie. 7. Heft. (Juli 1931.)
vom Vater den rheinischen Sinn für fröhliche Lebensauffassung, von der Mutter
aber ohne Zweifel den mit der westfälischen Erde verbundenen Hang zum
Grübeln und die Neigung zum Uebersinnlichen. Dazu kamen in den Jugendjahren
unternommene Reisen nach Westfalen, so zu Verwandten in Münster, wo abendliche
Erzählungen in einem alten Kaufmannshause wohl auf das Gemüt des
Knaben nicht ohne Einfluß geblieben sind, während nachmittägliche Besuche
in der Umgebung und auf Gütern landsässiger Familien ihn mit den frommen
Gebräuchen zur Zeit der Vesperstunde bekannt machten. Ganz besonderen und
nachhaltigen Eindruck aber machte auf den Knaben gelegentlich eines solchen
Aufenthaltes in Dülmen der Besuch des pietätvoll gehüteten Leidens- und Sterbezimmers
der Anna Katharina Emmerich, wobei er zum ersten Male von dieser
weltbekannten Stigmatisierten hörte und Einzelheiten erfuhr.
Begreiflicherweise versuchte er auch schon während der Schuljahre im elterlichen
Hause mit Brüdern und Freunden sog. spiritistische Tischrücksitzungen,
und wurde von dem alsbald Erlebten, für das die jugendlichen Gemüter noch
keine Erklärung fanden, mächtig gepackt. So ist es kein Wunder, daß Schillers
Erzählung „Der Geisterseher" zuir einstweiligen Lieblingslektüre wurde, der dann
später Kerners „Seherin von Prevorst" folgt. In den 90er Jahren fiel ihm in einer
Buchhandlung schon zum ersten Male ein Heft der „Psychischen Studien" in die
Hände, was bald zur ersten Bestellung einschlägiger Broschüren beim Verlag
Oswald Mutze führte.
Als er um die Jahrhundertwende die Universität bezog, mußte er sich naturgemäß
auch mit anderen Strömungen und Richtungen vertraut machen, und weil
damals noch der Häckelsche Darwinismus in Blüte stand, zierten Bilder dieser
beiden Naturforscher die Wand des Studentenzimmers, während die in aller
Munde geführten „Welträtsel" Häckels von ihm wie allen Gleichaltrigen verschlungen
und verehrt wurden. Nach Abschluß des Studiums und nach erfolgter
Anstellung in Berlin brachte die tiefeinwurzelnde Neigung wieder die Lieblingsbeschäftigung
zum Durchbruch, was zum Anschluß an gleichgesinnte Kreise
führte, zu denen der damals in Berlin im gleichen Berufe tätige Okkultist und
Schriftsteller Dr. H. W. Zahn gehörte. Kurz vor dem Kriege waren Schrenck-
Not/ings Aufsehen erregende „Materialisationsphänomenie" erschienen und gaben
Anlaß zu heftigen Diskussionen mit anderen Kollegen. Der Krieg brachte in den
persönlichen Beziehungen und in den Studien eine Unterbrechung, bis alsbald
nach Beendigung desselben das Interesse für den Okkultismus auch in Berlin
mächtig auflebte.
Jetzt hatte Dr. Sünner den richtigen Kreis gefunden; er trat der „Deutschen
Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" bei, und trat in Beziehungen
zu deren damaligem Vorsitzenden Professor Dr. Chr. Schröder, und den übrigen
Forschern San.-Rat Dr. Carl Bruck, Dr. Kröner, Dr. Quade, Dr. H. H Kritzinger
Dr. Schwab, vor allem auch Fritz Grunewald. Neben den Theoretikern und
Praktikern der damaligen Bewegung lernte er nun auch „Medien" kennen und
wissenschaftlich experimentieren- Zu seinen ersten großen Eindrücken gehörten
die Sitzungen mit Frau Vollhart, wobei er sich nicht nur von den Klopftönen
und Tischbewegungen überzeugen konnte, sondern erstmalig auch von Apporten
(EUumen und Steine) sowie von Durchdringung der Materie (Reifenphänomen).
Der Bericht hierüber in Dr. Schwabs Buche führte bekanntlich zu dem damaligen
Moll-Prozesse, in welchem er mit den übrigen Zeugen seine Erlebnisse unter
Eid erhärtete, was zunächst noch im Prozeß und später zu öffentlichen Angriffen
Hellwigs auf den Genannten führte.
Am 17. März 1922 hatte er mit mehreren gleichgesinnten Aerzten die „A e r z t -
liehe Gesellschaft für parapsychische Forschung" gegründet,
deren geschäftsführender Vorsitzender er mehrere Jahre hindurch gewesen ist.
Den ersten Vortrag vor einem größeren Kreise hielt am 19. April 22 der damalige
Priv.-Dozent der Philosophie an der Univ. Köln, jetzt Prof. in Berlin, Dr. Wilhelm
Haas über „Philosophisch-Psychologische Erwägungen zum Verständnis des
Yogha". In der Folgezeit wurden zahlreiche Vorträge von Gelehrten, Bekanntschaften
mit Medien und Demonstration ein durch den Vorsitzenden vermittelt.
Es gelang Dr. Sünner damals, in der „Psychiatrisch-Neurologischen Wochenschrift
" durch mehrere Aufsätze über unser Forschungsgebiet, so u. a. durch
eine sehr ausführliche, durch mehrere Hefte gehende Schilderung der Fern-
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