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Günther-Schwerin: Spukwesen und Materialisationen.
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wie die Kunst des Bildhauers in technischer Beziehung. Nicht jedes Geisteswesen
wird die Fähigkeit haben, gleich Fertiges zu schaffen oder diese Gabe
von vornherein besitzen. Aber das Zustandekommen solcher Verkörperungen,
hängt sicher auch noch von vielen „Zufälligkeiten" ab, von uns als solche
bezeichnet, weil wir die Umstände, welche hier einwirken können und diese
Bildungen günstig und ungünstig beeinflussen, nicht kennen.
Wir wissen aber aus den sog. „Entwicklungszirkeln", daß von den u n-
sichtbaren „Anfängern" zuerst einmal nur Versuche gemacht werden, einzelne
Gliedmaßen und Körperteile wie Hand, Bein und Fuß, Arm, Gesicht, Oberkörper
usw. zu bilden, wobei anfangs diese Formen gewöhnlich noch rohe, verschwommene
Umrisse und einen ebensolchen Bau aufweisen, eine feinere
Gliederung vermissen lassend. Nach längeren Uebungen werden die Bildungen
lebensähnlicher und beweglicher und die unsichtbaren Former beginnen
nun die Versuche, eine ganze menschliche Figur zu gestalten, denn sie
haben sich inzwischen größere „Technik" — wenn ich so sagen darf — und
größere Erfahrung angeeignet. Doch können darüber Jahre vergehen, ehe die
Verkörperungen vollständig „durchmodelliert" und lebensfähig erscheinen.
Manchmal formen sie nur ihren vollständig ausgebildeten Oberkörper, während
sich der Unterkörper in einer dunstartigen Masse, die einem feinen
Schleier gleicht, verlieit, und trotzdem bewegt sich dieser Oberkörper leicht
und geschickt, der Mund spricht hörbare Worte, und die Augen sind lebendig
und ausdrucksvoll. Die weißen, selbstldichtenden „Hüllmassen" — wie sie
von den früheren Forschern genannt wurden —, mit welchen bekleidet auch
die „Weiße Frau" erschien, finden wir wieder in der Gewandung vieler Verkörperungen
, die durch Medien zustande kommen, man nannte sie früher daher
das „Geistergewand". Aber auch solche „Spukwesen" und Verkörperungen
in Sitzungen sind beobachtet worden, die im Gewände einer früheren Zeit ^
erschienen, z. B. der „Rote Ivan", den Iiiig in seinem oben genannten Aufsatz
beschreibt, u. a. m.
Wenn diese Wesen aber gar in moderner Kleidung kommen, wie häufig
beobachtet wurde, dürfte es jemandem, der durch einen Zufall in eine solche
Materialisationssitzung hineingeriete, schwer fallen, die wirklichen Menschen
von einer solchen Bildung zu unterscheiden.
In meinen Sitzungen, die ich in den 8oer Jahren mit dem berühmten
Materialisationsmedium, Frau Minna Demmler, hielt, sah ich die von
III ig beschriebene Entwicklung dieser Verkörperungen aus einem „leuchtenden
weißen Schein", einem ebensolchen „Fleck am Boden", oder aus einem
„Musselinhaufen" niemals, aber es ist wohl möglich, daß sie sich aus solchen
Dingen in dem damals noch üblichen „Kabinett" und daher meinen Blicken •
unwahrnehmbar, bildeten. Damals schritten oder glitten sie, voll verkörpert,
aus jenem „Kabinett" hervor, manchmal sogar den Spalt im Vorhang nicbt
benutzend, sondern durch den Stoff desselben hindurchgehend, und waren
doch fühlbar fest geformt. Uebrigens mag ihre Entstehung aus dem von
Iiiig erwähnten „weißen Fleck am Boden", oder aus dem „Musselinhaufen",
der „in die Höhe" steigt, bis unter den Falten der Draperie ein Lebewesen
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