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444 Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1931.)
Ich habe vor kurzem in einer Stadt in Lettland eine Bekanntschaft gemacht
, die auf mich außerordentlich stark wirkte. Das Mitglied einer dem gebildeten
Stande angehörigen Familie, eine Dame, ist stark medial veranlagt.
Besonders häufig kommen bei ihr Apporte vor. Eine im Trance des Mediums
auftretende Intelligenz verlangte einmal, daß die zum Hause gehörenden Kinder
von 8—12 Jahren an den Sitzungen teilnehmen sollen. Und nun entwik-
kelte sich ein höchst interessantes Verhältnis. Die auftretende Intelligenz erschien
den Kindern wie eine Gestalt aus der Märchenwelt, die durch Apporte
manche sehnlichsten Wünsche der Kinder erfüllte. Die Kinder lebten wie in
einem Traumlande und waren begeistert. Ich führe dieses Beispiel zu folgendem
Zwecke an: Man kann dazu, daß man die Kinder mit zu den Sitzungen
nimmt, stehen wie man will, aber das eine ist doch klar, daß es vollständig
unsinnig wäre, hier überhaupt an Betrug zu denken. Wer soll denn hier betrügen
? Die Dame die Kinder? Oder der die Sitzung leitende Vater? Oder
ihre Mutter? Oder sollen am Ende die Kinder bei den Betrügereien mit im
Spiele sein? Wer einigermaßen die Psyche der Situation bei solchen Sitzungen
erfaßt, der kommt bald zur Ueberzeugung, daß ähnliche Situationen fast in
allen intimen Sitzungen herrschen. Es wird oft einfach absurd, von einem
Betrüge zu reden. Ich möchte bei dieser Gelegenheit das mitteilen, was ich
an anderer Stelle *) von mir erzählt habe, wie ich zum Positivisten (nicht zum
„Gläubigen" — das ist kein richtiger Ausdruck) wurde gleich bei der erstem
Berührung mit diesem Problem. Im Jahre iqi3 machte ich spaßeshalber als
absoluter Nichtgläubiger ein Experiment mit einem Wünschelrutengänger mit,
sah aber sofort aus der Psychologie der Situation heraus, daß man von Betrug
gar nicht reden könne. 191/1 besuchte ich, durch einen Freund aufgefordert,
meine erste spiritistische Sitzung, die übrigens mißlungen war, indem gar
keine Phänomene auftraten. Der Eindruck war aber ganz entschieden positiv.
Auch hier war nichts von einem Betrug zu sehen. An diesem ersten
Eindruck hat sich bei mir bis zum heutigen Tage nichts
geändert, obgleich ich wenigstens hundert Sitzungen,
z.T. mit starken Phänomenen, mitgemacht habe.
Und nun komme ich zum Schluß auf die Veröffentlichung von Osty über
das Warschauer polnische Medium Stanislawa P. unter dem Titel „Eine mediu-
miAische Komödie"2). Ich will nicht davon reden, ob dieses scharfe Urleil
wirklich berechtigt ist, nachdem Schrenck-Notzing zu einem bejahenden gekommen
ist. So leicht das Medium im Dunkeln mogeln kann, so leicht können
sich die Experimentatoren in der psychologischen Einschätzung des Betrugs
versehen. Sie müßten doch z. B. bemerkt haben, daß das Medium noch nicht
im Trance ist. Mir ist die Situation doch nicht ganz klar. Ich möchte aber
die Frage auf werfen: Hat eseinen Zweck, wenn es auch eineEnt-
larvung gewesen ist, ein so großes Aufsehen davon zu
machen? Ist Stanislawa P. eine zielbewußte Betrügerin, so ist es für sie
x) „Das Okkulte von der Wissenschaft aus betrachtet", Wiener metapsychische
Bibliothek, Baum Verlag. 1924. S. 9.
2) Diese Ztschr. 1931. Maiheft.
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