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446 Zeitschrift für Parapsychologie. 9. Heft. (September 1931.)
Ueber solche Erscheinungen gibt es eine umfangreiche Literatur, an der
die offizielle Wissenschaft unmöglich vorübergehen konnte. Die Schwierigkeit
einer exakten Beobachtung lag freilich vor allem darin, daß die Zeit der Erscheinung
des Gespenstes unbestimmt ist und daher die Geduld unserer geschäftigen
Gelehrten allzusehr auf die Probe stellte. Auf dem Schlosse Bernstein
im Burgenland konnte aber der „rote Iwan", im Volke „der Schloßhansl"
genannt, und die „böse Kathel" so häufig gesichtet werden, daß die photographische
Aufnahme dieser Erscheinungen gelang. Hierüber berichtet die
Zeitschrift für Parapsychologie (Verlag Mutze, Leipzig, Februarheft 1929). Sie
bringt überraschend gute Lichtbilder des Bernsteiner Gespenstes, der Verfasser
hat allen wissenschaftlichen Hochmut abgelegt, den die meisten Forscher der
Psychik bisher gezeigt hatten, und setzt sich ernsthaft mit der „weißen Frau"
wie mit einem sonst lebenden Körper auseinander.
Dies gibt mir den Mut, auch über die nach der Volkssage in Oberösterreich
erscheinenden „weißen Frauen" zu berichten, wobei ich freilich
etwa vorpassenden freiwilligen Photographen wegen der „Tücke des Objektes"
für zeitgerechte Erscheinung nicht garantieren kann.
Die Rose von Aistersheim1).
Der türkische Prinz Osman flieht im i5. Jahrhundert vor seinem kaiserlichen
Bruder Mahomet II. Auf einer abenteuerlichen Flucht gelangt Osman
nach Temesvar. Er entscliließt sich, den christlichen Glauben anzunehmen und
wird von dem dort residierenden Erzbischof, der aus dem Geschlechte der Poll-
heimer stammt, nach Oberösterreich empfohlen. Auf der Reise lernt Osman die
schöne Lucia, die Schloßtochter von Aistersheim, kennen, er wirbt um ihre
Hand, die ihm gewährt wird.
Inzwischen erfährt Mahomet den Aufenthalt seines Bruders Osman. Und als
Osman mit seiner Braut in den Gärten von Aistersheim lustwandelt, wird er
von den Häschern Mahomels meuchlings ermordet. Die trostlose Lucia nimmt
den Schleier und ihr „Geist" erscheint heute noch bei wichtigen Anlässen im
Schlosse.
Wartenfels2).
^Auf dem Höhenzuge zwischen Thalgau und Sankt Gilgen stand die stolze
Ritterburg Wartenfels. Auf dem alten Gemäuer erscheint von Zeit zu Zeit
eine liebliche Frauengestalt in weißem, golddurchwirktem Kleide. Es ist die
„weiße Frau" von Wartenfels. Alle zehn Jahre darf sie den Menschen sich
sichtbar machen, sie hängt dann ihre weißen Linnen zum Trocknen auf. Sie
zeigt sich den beerensuchenden Kindern, winkt sie zu sich, und bricht in jämmerliches
Weinen aus, wenn die Kinder erschrocken heimlaufen. Sie stellt den
leeren Milchtopf in ein Bauernhaus und legt ein Geldstück daneben. Die
Bäuerin füllt den fremden Topf mit Milch an und die „weiße Frau" holt die
Schüssel ebenso unbemerkt, wie sie gekommen war. Wenn aber die Bäuerin
boshaft ist und den Topf ungefüllt stehen läßt, so entfernt sich die „weiße
Frau" unter lauten Klagerufen.
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