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Mattiesen: Der Austritt des Ich als spiritistisches Argument.
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vornherein das stärkste Argument preis, das sich für die „realistische" Auffassung
der Exkursion allenfalls gewinnen ließe. Aber diese Preisgabe kommt
jedenfalls dem Gegner der im folgenden zu vertretenden Auffassung zugute;
sie erschwert mir also die eigene Aufgabe und ist insofern gerade vom Standpunkt
des Opponenten aus unbedenklich.
Ich will demnach im folgenden „so tun", als ob wir es normalerweise im
Grunde stets nur mit einem „wahrnehmenden Ichbewußtsein" zu tun hätten,
da« während des normalen Wachseins seine Stelle im dinglichen Wahrnehmungsraum
durch den physiologischen Wahrnehmungsapparat angewiesen erhielte.
Der Anschein, den unsre Berichte erzeugen, besteht dann darin, daß während
gewisser abnormer Zustände, ausgelöst durch die erwähnte Asthenisierung des
Wahrnehmungsapparates. eine Verschiebung dieser „Stellenanordnung' im
Räume eintreten könne; und die Frage, auf die sich unsre Untersuchung zuspitzt
, läßt sich zunächst so formulieren: wieweit dürfen wir diesen Vorgang
als einen sozusagen „realen" auffassen, das heißt: als ein echtes Erleben
innerhalb der räumlichen „W i r k 1 i e h k e i l" , also als mehr,
denn bloßes sich wandelndes „Vorstellen" — innerhalb des normalen (auch
physiologischen) Schauplatzes alJes Vorstellens — in Bildern räumlicher
Wirklichkeit (..Bildern", wie wir sie etwa auch im Traum, in der Erinnerung
und der Halluzination erleben).
Wir streifen hier augenscheinlich grundlegende Fragen der Erkenntnistheorie
überhaupt: die Frage nach dem Wesen von Wahrnehmung überhaupt
und nach der Natur und Wirklichkeit des Raumes. Aber auch diese Fragen,
die uns in unabsehbare Erörteiungen zu verstricken drohen, möchte ich um der
Vereinfachung willen nach Möglichkeit von unsern 1 Vberlegungen ausschließen.
Ich kann es wohl am ehesten, indem ich auch hier eine Denkweise voraussetze
, die dem Gegner einer möglichst „realen" Auffassung der Exkursion
am weitesten entgegenkommt. Legen wir also dem folgenden eine Auffassung
des Raumes als lediglich intrasubjektiven anschaulichen Beziehungssystems zugrunde
, innerhalb dessen das räumlich wahrnehmende Ich sich jeweils eine bestimmte
..Stelle" angewiesen findet, die sieh normalerweise nach der räumlichen
Anordnung seines Leibes bestimmt aber — wie wir sahen — nicht
jederzeit und unbedingt durch diesen bestimmt zu worden braucht. Selbst
unter solchen Voraussetzungen (sage ich) bleibt der Unterschied von iäum-
lichem „Wahrnehmen" der Dinge einerseits und räumlichem „Vorstellen" oder
selbst ..Halluzinieren anderseits in Kralt. Auf eine ausführliche Analyse
dieses Lnlersdiieds brauche ich mich hier nicht einzulassen; ich weiß (und
jeder Leser kann sieh leicht klarmachen), daß es zweierlei ist: ob ich, an meinem
Schi eiblisch «it/end. mir den Pariser Platz in Berlin mit größter, selbst
„halluzinatorischer'* Deutlichkeit ..vorstelle* , oder ob ich ihn „an Ort und
Stelle wahrnehme". Im extremen Falle ireilich könnte jene halluzinatorische
Vorstellung ein Stadium erreichen, in welchem ich mein Zimmer \ollig
aus dem Bewußtsein verliere und /» u f dem Parisei Platz anwesend zu sein
glaube. Ware damit der Tatbestand der „Exkursion" gegeben? Vielleicht —
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