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Mattiesen: Der Austritt des Ich als spiritistisches Argument. 485
Weise die seelische Selbständigkeit des ,»wahren Ich" in seiner Absonderung,
wenn einzelne Subjekte zunächst im Ungewissen darüber erscheinen, ob der
wahrgenommene „Leichnam" auch wirklich ihnen zugehöre (»3, wie denn
gelegentlich sogar der Wunsch bekundet wird, nicht wieder in ihn einzugehn
(i*>). Die Subjekte ausgedehnterer und komplexerer Erfahrungen vollends
schreiten vielfach zu einem bewußt experimentellen Verhalten fort,
prüfen ihre Lage, ihre Macht oder Ohnmacht gegenüber der wahrgenommenen
Wirklichkeit, versuchen eine willkürliche Fortsetzung gerade ihrer räumlichen
Verschiebung, machen Einzelbeobachtungen, die sie später nachprüfen zu können
hoffen, usw.
Ich übersehe nicht, daß die Wirklichkeitstreue der Wahrnehmungen des
Exkurrierenden sich in gewissen Fällen und Einzelheiten zu trüben scheint,
noch auch daß sie in gewissen Fällen schließlich in ein völlig wirklichkeitsfremdes
Erleben übergeht. Was das erstere betrifft, so werden ja sogar Aussagen
Narkotisierter behauptet (ich bin freilich nie einem konkreten Beispiel
begegnet), die mit den angeblich beobachteten Vorgängen (z. B. einer
Operation) keineswegs übereinstimmten. Aber weder in solchen Tatsachen,
noch in den andern erwähnten vermag ich eine Gegeninstanz gegen die Diagnose
von „Wahrnehmung" zu erblicken. Niemandem wird es einfallen, halluzinatorisches
Erleben unter Chloroform oder in andern abnormen Zuständen überhaupt
als unmöglich hinzustellen. Aber ferner: was hindert uns, selbst einen
vorausgesetzten Zustand echter Exkursion als einen solchen aufzufassen, worin
sich — etwa gar noch leichter, als im Wachen — ein halluzinatorisches Erleben
in das wirklichkeitgemäße „wahrnehmende" mische? Und schließlich
: was hindert uns, einen solchen Zustand wirklichkeilnaher Exkursion in
einen Zustand übergehen zu lassen, in welchem jene Wirklichkeitsnahe
völlig aufgehoben, das Subjekt in sein innerstes Denk- und Vorstellungsleben
eingesponnen wäre, oder aber in eine völlig neuartige Wirklichkeit" verstrickt,
also in eine „Jenseitswelt" irgendwelcher Art, wennschon vielleicht in eine nur
s\mbolisch nacherlebte? Nichts hindert uns an solchen Annahmen; im Gegenteil
: sie haben gerade innerhalb des hier vorausgesetzten Systems von Deutungs-
begrifCen die allerhöchste Natürlichkeit und vertragen sich vorzüglich mit der
Ueberzeugung. daß mindestens ein Teil des Erlebnisses — und in den meisten
Fällen ist es der überwiegende — echten Wahrnehmungscharakter im oben angegebenen
Wortsinn habe1).
Sei nun abir auch das Wahrnehmen des Exkurrierenden von bloßem „Vorst
eilen" öde*- von „Halluzinieren" zu unterscheiden: was verhindert uns, in
diesem angeblichen Wahrnehmen ein Hellsehen (in der vollen Deutlichkeit
des Wahrnehmens) zu erblicken? — Erinnern wir uns der kurzen „ab-
Mrakteii" Peberlegung, die wir unmittelbar vor Darbietung der Erfahrungsberichte
anstellten, und kontrollieren wir sie jetzt an dem Eindruck, den die
gehäuften Fälle auf uns gemicht haben Dei Hauptgedanke jener Ueberlegung
x) Vgl. D. jens. Mensch, S. 675-—684.
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