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Kleine Mitteilungen.

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Trennung zwischen Körper und Doppelganger vollzieht sich in manchen
Fällen unfreiwillig; aber wer darin ausgebildet ist, kann sie, wie die Tibeter
meinen, ganz nach Wunsch bewerkstelligen. Vollständig ist die Trennung
jedoch nicht; es bleibt ein Band zwischen den beiden Formen zurück, das auch
den Tod noch längere oder kürzere Zeit überdauert. Die Zerstörung des Leichnams
bringt gewöhnlich, wenn auch nicht notwendig, die des Doppelgängers"
mit sich: manchmal überlebt dieser auch den Körper.

Es gibt Leute in Tibet, die, aus einem mehr oder weniger langem Zustand
totenähnlichen Schlafes erwacht, verschiedne Orte beschreiben, die sie besucht
haben wollen. Zuweilen handelt es sich um Länder, die Menschen bewohnen;
andere wissen aber auch von Wanderungen durch Paradies und Fegefeuer zu
erzählen oder durch den Bardo, dieses Zwischen reich, in dem der Geist nach dem
Tode in Erwartung seiner neuen Verkörperung umherirrt. Die seltsamen Reisenden
werden „Delogs" genannt, d. h. die „vom Jenseits Zurückgekehrten". Was
die Orte, die sie besucht, und die Abenteuer, die sie unterwegs erlebt haben,
betrifft, so weichen die Berichte der Delogs voneinander ab. Aber fast einstimmig
schildern sie die Eindrücke während des Scheintodes als recht angenehm.

Ich traf im Dorfe Tsa-wa-rong eine Frau, die fast eine Woche lang leblos
gelegen hatte. Sie erzählte freudig erstaunt, wie außerordentlich leicht und schnell
ihr Körper sich bewegt habe. Kaum hatte sie sich nach einem andern Ort hingewünscht
, so war sie schon da gewesen. Sie konnte auf dem Wasser wandelnd
über die Flüsse setzen, durch die Wände gehen und dergleichen. Nur eins gelang
ihr nicht: ein fast unmerkliches, körperliches Band zu zerschneiden, das sie mit
ihrem alten Körper verknüpfte, den sie ganz deutlich auf seinem Lager gebettet
daliegen sah. Dies Band verlängerte sich bis ins Unendliche, behinderte sie aber
dauernd in der Fortbewegung. „Ich verwickelte mich darin", drückte sie sieh
aus. — Da der Delog nicht wirklich gestorben ist, beweist natürlich nichts,
daß das von ihm während seiner Lethargie Empfundene dem gleicht, was die wirklich
Toten fühlen; aber das scheint die Tibeter nicht weiter zu kümmern. Hat der
Sterbende seinen letzten Seufzer ausgehaucht, so werden ihm seine Kleider verkehrt
herum angelegt, so daß das Vorderteil auf dem Rücken sitzt. Dann unischnürt
man ihn, in der Buddhastellung hockend, mit gekreuzten oder mit eingezogenen
Beinen, die Knie die Brust berührend. In den Dörfern pflegt man dann
den Körper meist in einen Kessel zu setzen, der natürlich von Verwesungsflüssi&-
keiten beschmutzt wird. Kaum hat man aber die Leiche wieder herausgenommen,
so wird nach einer nur oberflächlichen Reinigung die Suppe oder der Tee für die
l eidtragenden darin zubereitet.

Das Begräbnis läßt in Tibet auf sich warten. In den hochgelegenen mittleren
und nördlichen Provinzen tritt die Verwesung ja erst spät ein;; aber in den
heißen, feuchten Tälern des Sudens verbreiten die oft acht Tage und noch länger
aufbewahrten Leichen einen grauenhaften Geruch. Das beeinträchtigt den Appetit
der Trapas aber durchaus nicht; sie erteilen unentwegt dem Verstorbenen ihre
Ratschläge, um ihm im Jenseits die richtigen Pfade zu weisen und ihn vor den
falschen zu warnen. "Sie nehmen ihre Mahlzeiten im Beisein des Toten und mit
ihm ein, denn der amtierende Lama ruft ihn beim Namen und fordert ihn ausdrücklich
auf, zu essen: „Sende deinen Geist sofort hierher, auf daß er sich nähre!"

In den Waldgegenden Tibets werden die Leichen eingeäschert. Die Bewohner
der weiten, kahlen Landstriche Mittel- und Nordtibets, denen als einziger
Brennstoff Viehdung zur Verfügung steht, liefern sie den Raubvögeln aus, sei es
an den eigens diesem Zweck ^ vorbehaltenen Orten in der Nähe der Dörfer, sei
es auf Bergeshöhen, wenn es sich um Nomaden oder um Einödbauern handelt. Die
Leichen der hohen klösterlichen Würdenträger werden zuweilen mittels eines
doppelten Verfahrens erhalten: entweder durch Einsalzen oder durch Abkochen
in Butter. Diese Mumien heißen Mardong. Ihr Antlitz wird vergoldet. Man setzt
sie, in ihre Kleider gehüllt, in einem aus schwerem Silber bestehenden, mit kostbaren
Steinen verzierten Grabmal bei. Manchmal wird in Kopfhöhe der Leiche ein
Spiegel angebracht, damit der Tote sein vergoldetes Gesicht betrachten kann.
Großlamas werden, einfach mit Butter Übergossen, eingeäschert und ihre Gebeine
in reich geschmückten Gräbern beigesetzt. Alle Grabdenkmäler Tibets bevorzugen
die Tschortenform, eine Nachahmung der alt-buddhistischen Stupas.

Unter dem Einfluß der buddhistischen Lehre von dem Verdienst der guten
Werke sehen viele Lamaisten in der Bestattung eine Gelegenheit m höchstem


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