http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1932/0191
162
Fall f: Vor mehreren Jahren weilte ich auf einem großen Gute in Pommern
, dessen Besitzer etwa fi Monate zuvor gestorben war, und dessen leihliche
Ueberreste alter Tradition gemäß im Schloßpark selbst beigesetzt waren. Ich
weilte öfters an diesem etwas abgelegenen, mit Gebüsch und hohen schattigen
Bäumen umgebenen Grabe, da ich die Stille und die Einsamkeil liebte, ohne
aber an den mir sonst fernstehenden Toten zu denken.
Als ich eines Abends in meinem Schlafzimmer, in welchem die beiden
Enkelkinder (zwei Bübchen) des Verstorbenen ebenfalls schliefen, mit einer
kleinen Näharbeit beschäfligt war, hörte ich deutlich, wie jemand mit einem
großen Zweige über die Fensterscheiben strich. Vom Garten aus konnte es
nicht geschehen sein, denn das Zimmer lag im «>. Stock hoch und die Bäume
standen viel zu weit ab vom Hause, so daß auch beim stärksten Sturm deren
Zweige kein Fenster erreichen konnten. In der Meinung, es sei wohl eine Eule
oder sonst ein Vogel, der durch das Lampenlicht angezogen wordin ist, legte ich
diesem sonderbaren Geräusch, da* sich oftei wiederholte und stet* in der
gleichen ,,streichenden" Weise, kein weiteres Gewicht bei.
Da geschah etwas Sonderbares. Wiederum saß ich abends gegen 1,2io I hr
oben in meinem Zimmer. Die beiden Bübchen schliefen tief und fest, als
plötzlich jemand wie mit einem Besenstiel über die Zimrnertüre hin und her
strich, schließlich unregelmäßig heftig klopfte und mit lautem Schlag zu Boden
fiel. Sofort sprang ich auf. nahm die Lampe in die Hand (Gas oder Elektrisch
gab es da auf dem Lande noch nicht) und leuchtete mit der llandlampe zur
Tür hinaus und den ganzen Flur entlang bis zu der llolztreppe, die hinnnler-
fühih» zum i.Stock. Kein Mensch war zu sehen, kein Besen oder .sonstiges
Gerät stand da, womit das Geräusch hervorgebracht sein konnte. Wäre es auch
* eine Person gewesen, so konnte sie bis zu der Treppe gar nicht gelangt sein,
da ich sofort mit der Lamp.i an dei Tür war, weil ich glaubte, es wolle jemand
zu mir ins Zimmer und er habe sich in der Dunkelheil an meiner Türe
gestoßen. Mein Nachforschen, ob jemand abends noch an meiner Tür war,
wurde erstaunt von allen verneint, da in dem oberen Geschoß keine weiteren
Zimmer lagen als- das von mir bewohnte Fremdenzimmer. Ich beruhigte mich
und sprach nicht mehr davon.
Einige Tage darauf, als ich im Begriff war, mich abends niederzulegen%
höi^ ich, wie ganz plötzlich ein Kinderwagen im rasenden Tempo an meiner
'Türe vorbei den langen Flur entlang heruntersaust. Das war mir denn doch
zu aig, denn ich glaubte, es wollte mich jemand nur erschrecken. Sofort spiang
ich mit der Lampe zur Tür hinaus, doch niemand war zu sehen, der große,
breite Flur lag im tiefen Dunkel vor mir. AI* ich nun das Dienstpersonal
danach frug, bekam ich zur Antwort, daß es seit dem Tode des Hausherren,
im Hause spuke. In dem einen Zimmer, welches stets abgeschlossen wurde,
ständen früh alle Möbel durcheinander, von der Wand abgerückt und keiner
niochh* das Zimmer betreten. So wurde auch das Rascheln am Fenster, das
Poltern vor meiner Tür und das Hollen eines Kinderwagens für Spuk erklärt,
da niemand im Hause es getan hatte.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1932/0191