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Zeitschrift für Parapsychologie. 5. Heft. (Mai 1932.)
zu einem Tumult kam, als Marion die Verwendung dieser Briefumschläge verweigerte
.
Professor Molitoris von der Universität Erlangen bekundete, daß er
im Jahre 1915 mit Marion, während dessen Aufenthalt in einem Innsbrucker
Lazarett, zahlreiche und von unerwartetem Erfolg begleitete Versuche angestellt
habe. Molitoris dachte sich einen Auftrag aus und Marion erledigte denselben
, ohne daß eine Aussprache oder bewußte Zeichengebuns stattgefuuden hätte.
Man schritt hierauf zu Experimenten im Oerichtssaai. Professor
Molitoris überreichte Marion ein verschlossenes Kuvert, in dem der Name einer
im Gerichtssaal anwesenden Person vermerkt war. Nach einem ersten Fehlergebnis
gelang zweimal das Experiment rasch und sicher, indem Marion der
im Briefumschlag vermerkten Person die Post als „telepathische Post" zustellte
. Man schritt zu einem psycho-graphok>gischen Versuch, wobei Marion
den Charakter einer Person aus einer Handschrift erkennen sollte, und sodann
zu echten Hellsehversuchen, wobei der Inhalt eines geschlossenen Briefumschlags
gelesen werden sollte. Alle diese Versuche schlugen eindeutig fehl. Marion
sprach z. B. von einer Zahl, während der Briefumschlag die Frage enthielt:
Wie heißt die Hauptstadt von Licbtenstein ?
Sachverständiger Dr. med. Aigner, Freiburg, bekundete, daß er von dem
Bestehen parapsychischer Phänomene auf Grund seiner beruflichen Erfahrungen
überzeugt sei. Dennoch könne er im vorliegenden Fall nicht an ein Hellsehen
glauben. Diese oft verblüffenden und unerklärlichen Erfolge der Bühnen-Hellseher
seien in erster Linie auf die Kritiklosigkeit des Publikums zurückzuführen,
das im Vortragssaal Täuschungen und Suggestionen unterliege. Man habe nun
im Aerzteverein Freiburg mit Marion Versuche gemacht. Marion habe sich bedingungslos
zur Verfügung gestellt und allen Anforderungen Folge
geleistet. Soweit eine Kommission die Aufgaben stellte, seien die Versuche
mißlungen. Soweit Marion selbst Vorschläge machte, seien überraschende
Treffer zu verzeichnen gewesen. Marion führte z. B. Aufträge aus, die einer der
Anwesenden unbeobachtet in sein (des Auftraggebers) Notizbuch geschrieben
hatte, ohne daß sonst jemand im Saal den Auftrag kannte. Dabei beobachtete
aber Marion den Auftraggeber, der ihn bei der Ausführung der Bewegung
„telepathisch" leiten sollte. Er hatte dadurch die Möglichkeit, an den Gesichtszügen
, der Atmung und sonstigen Bewegungen Anhaltspunkte zu finden. Marion
sei ein Künstler in Beobachtung und Kombination, der genial arbeite, aber als
parapsychisch kann man das nicht bezeichnen.
Der Leipziger Universitätsprofessor Dr. Driesch schilderte ausführlich die
wenigen ihm bekanntgewordenen Fälle von wirklichem Hellsehen und bezweifelte
, ob man bei Marions Experimenten annehmen müsse, daß sie mit Hellsehen
etwas zu tun hätten. Bei Versuchen mit Marion in Leipzig sei er geradezu
verblüfft gewesen über Marions Arbeiten. Dennoch müsse er ein Hellsehen
im vorliegenden Falle verneinen. Man könnte an Telepathie denken, könne
Marion auch den Glauben an seine Fähigkeit zubilligen.
Der Münchener Arzt Dr. T i s c h n e r schilderte als Sachverständiger zahlreiche
Versuche, die er mit dem Angeklagten unternommen. Es seien bei exakter
Vefeuchsanordnung nur Versager zu verzeichnen gewesen. Er spreche Marion
nach diesen Erfahrungen jede hellseherische Fähigkeit ab. Marion führe seine
Experimente mit Hilfe von Tricks durch.
Professor Dr. A. A. Friedländer, Freiburg, berichtete von seinen mit
anderen Medien vorgenommenen Hellsehversuchen, besonders unter Anwendung
von Hypnose. Er sei zu einem völlig ablehnenden Urteil gekommen. Auch die
Freiburger Versuche mit Marion im Aerzteverein hätten ihn in dieser Ablehnung
bestärkt. Er sehe sich unter Hinweis auf die enorme Schädigung, die diese Vorträge
und Hellseh-Vortäuschungen für die Oeffentlichkeit und für die Heilkunde
bedeuten, zu einer Warnung vor den Bühn^ntelepathen genötigt und
müsse annehmen, daß Marion sich sogar der Täuschung bewußt ge-
gewesen sei.
Staatsanwalt Pfützner beantragte Verurteilung wegen täuschender Reklame
. Marion sei kein Hellseher, er habe auch gewußt, daß er etwas verspreche
, was er nicht halten könne. Mit Rücksicht auf die öffentliche Gefahr
müsse die Berufungsinstanz erwägen, ob nicht über die Strafe der ersten Instanz
hinausgegangen und eine Freiheitsstrafe verhängt werden müsse.
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