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Buchbesprechungen
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die Kameradin. Die Knoten des unheilvollen Netzes schürzen sich; mit jedem
neuen Schicks.alssch.ag geht auch ein Stück Lebensmut dahin. Dämonische Gewalten
von unerbittlicher Konsequenz zerren und rütteln, bis ein Freitod Sühne
und Erlösung gibt. — Die Rache der Toten? Wer kann es wissen... Feingetönte
Zeichnung der Menschen und Dinge und das spannungsreiche Geschehen hinterlassen
im Leser tiefsten Eindruck. Priibusch.
Eugen Georg, Verschollene Kulturen. Das Menschheitserlebnis. Ablauf
und Deutungsversuch. Verlag R. Voigtländcr, Leipzig. 294 Seiten. Ganzleinen
10 RM., geh. 6.50 RM.
Die Zeit der Spezialforschung, einer Art wissenschaftlicher Autarkie, geht
ihrem Ende zu. Das gehört vielleicht mit zur „Krise der Wissenschaften", die
sich ja in gewisser Hinsicht darstellt als das Ende jener wissenschaftlichen
Methodik, die schon allein in der Anhäufung von Sto*fmaterial und seiner Rubrizierung
und Klassifizierung eine wesentliche Aufgabe zu sehen gewohnt war.
Im Gegensatz dazu macht sich im letzten Jahrzehnt ein Streben nach der Synthese
bemerkbar. Es beginnt bei dem in Frage stehenden Gebiet etwa bei
Spengler, wird in etwas anderem Sinne durch Frobenius und Daque fortgeführt
und hat neuen Niederschlag in dem Buch von Georg gefunden.
Es behandelt das Gebiet der Kulturmorphologie — wobei man diesen Begriff
aber in weitestem Sinne zu fassen hat — und hält voll und ganz, was
der Untertitel verspricht. Mit ruhiger Selbstverständlichkeit wird hier in Jahrhunderttausenden
, in Jahrmillionen gedacht von einem Beschauer, der dem
ewigen Zug der Weltenwanderer, ihrer Kulturen, ihrer Kontinente zusieht und
den Kreislauf alles Geschehens vom Beginn bis zum Ende verfolgt. Selbsher-
ständlich kann unter diesen Gesichtspunkten die Kultur keine bloße Anschauungsform
des historistischen Denkens sein; sie ist vielmehr ein belebter und beseelter
Organismus, der wie jedes Lebewesen den biologischen Ursinn und
seine Realisation zu erfüllen hat. Gleich allem Organischen hat jede Kultur ihr
spezifisches Quantum vitaler Energie zu verbrauchen; sie entwickelt sich, entfaltet
ihre höchste Blüte und stirbt. Manchmal ohne äußere Ursache; sie ist —
man denke an die Agonie der Ureinwohner Australiens — an regulärer Altersschwäche
, an Auszehrung zugrunde gegangen. Das ist die Prämisse, die tatsächlich
den Schlüssel zu einem großen Teil aller „verschollenen Kulturen"
liefert.
So analvsiert Georg die Wunderwelten der alten Aegvpter, der Inka, der
Azteken und Tolteken und sieht immer wieder die unaufhörliche Folge der
Kulturen entstehen und — spuilos scheinbar — verschwinden, spärliche Relikte
ausgenommen. Gewaltige Naturkatastrophen \on unvorstellbarem Ausmaß tun
das ihrige; im Gedankengang von Hörbigers Welteislehre kommt es zum kosmischen
Tod ganzer Welten, aber auch zu ihrer Auferstehung. Georg entwickelt
dies mit der Phantasie des Künstlers; aber er erweist sich als echter
Wissenschaftler durch das Freisein von jeglicher Phantasterei. Er sieht die Tatsachen
und auch die Ueberlieferungen und deutet dann den tiefen Sinn Er
folgt der modernen Mythenfor^ehung, Daque und Frobenius, wenn er mit ahVr
Bestimmtheit für einen Wahrheitskern * in den großen Menschheitsmvthen plai-
diert, mag es nun der Schlangen-, der Sintflut-, der Aüantismvthos oder irgendeine
andere zeitlose Menschheitssage sein. t
Darum hält er auch mit vielen anderen Forschern die Möglichkeit durchaus
für gegeben, die Atlantissage unter die großen Epen einzureihen, dei.en mehr
als eine nur metaphysische Realität zukommt. Ein Siebentel des ganzen Buches
erörtert unter eingehender Schilderung der exaktwissenschaftlichen Sachlage
die Perspektiven, die sich bei Benutzung dieser Theorie ergeben. Man könnte
vielleicht geneigt sein, dies als phantastische Spekulation abzutun, wenn nicht
wiiklich sehr viel dafür sprechen und davon abhängen würde, so daß sich dieses
Problem geradezu als eine der Kernfragen herausschält. Das Thema reizt zu
ausführlicher Erörterung; doch möge an diesem Ort nur auf das Buch selbst verwiesen
werden, das dieses Menschheitsdrama wie auch manches andere durch
die Feder eines Wissenschaftlers schildert, der auch ein Dichter im echten Sinne
des Wortes ist.
Ueberaus reichhaltig ist der Stoff, der aus zahlreichen Monographien und
schwer zugänglichen Spezialarbeiten herausgezogen und hier niedergelegt ist.
Georg selbst hat auch die Notwendigkeit empfunden, diese Fülle der Gesichte zu
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