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Kleine Mitteilungen.
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wachte der Vater ganz ungewöhnlicherweise und ohne jeden feststellbaren Grund
gegen vier Uhr morgens, und zwar zu so völligem Bewußtsein, daß er nicht mehr
„ einschlummern konnte. Bald darauf hörte er ein wie aus weiter Ferne rasch sich
näherndes Sausen, und im nächsten Augenblick war's, als durchschlüge ein Geschoß
hinter seinem Kopfe krachend die Verbindungstür der beiden Stuben. Betroffen
aufgefahren und sich wendend, sah er ein dunkles Etwas, das einem mit
angelegten Flügeln dahinschießenden schwarzen Raubvogel glich, dicht vor seinem
Gesicht vorüberjagen und gegen das gegenüberliegende Fenster über
dem Vogelkäfig herausbrechen, gleichzeitig ertönte der schrille Lärm zerschmetterter
und zu Boden stürzender Glasscheiben, worauf die aus ihrem Schlummer
aufgeschreckten Vögel wild im Käfig durcheinanderflatterten, der Teckel meines
Vaters, der am Fußende des Bettes in ruhigem Schlaf gelegen, mit jähem Gebell
durchs Zimmer raste, und meine Mutter, wie auch meine in einem andern anstoßenden
Gemach schlafende Schwester, gleichfalls schon durch das Geklirr
des vermeintlich zerschmetternden Fensters geweckt, voll Angst zu meinem
Vater eilten. Die sofort angestellte Untersuchung erwies zum allgemeinen Erstaunen
, daß das Fenster wie auch die anscheinend durchlöcherte Tür unversehrt
waren, und da auch sonst gar nichts Ungewöhnliches im Zimmer war, gab 'man
sich endlich kopfschüttelnd zufrieden, beruhigte die verängstigten Tiere, was
längere Zeit in Anspruch nahm, und legte sicn wieder schlafen. Morgens beim
Frühstück aber erklärte die Großmutter, die seltsamerweise allein gar nichts
von dem ganzen Spuk und Lärm gehört oder gesehen hatte und der man auch
gar nichts davon sagte, sie habe sich während der Nacht „zum Sterben schlecht"
gefühlt: und bald darauf begann sie zui fiebern und. mußte sich zu Bett legen.
Dieser merkwürdige Bericht erregte mich um so mehr, als mein Vater, wie ich
genau wußte, jedem Aberglauben abhold war; fühlte er sich dennoch innerlich
genötigt, mir sein Erlebnis in so ernsthafter Weise mitzuteilen, so mußte er
selbst von dessen Realität und ungewöhnlicher Bedeutung überzeugt sein. Später
erfuhr ich dann noch, daß meine Tante K..., die meiner Großmutter als Nichte
von jeher besonders zugetan war, gleichfalls durch eine seltsame Erscheinung
auf das Bevorstehende aufmerksam gemacht, ja geradezu dadurch nach München
gerufen worden war. Sie saß morgens in Rosenheim nichts ahnend bei ihren
Kindern, als in dem geschlossenen Klavier neben ihr ein gewaltiger Schlag ertönte
, von einem Klang gefolgt, als wären sämtliche Saiten gesprungen. Zugleich
fühlte die Tante die innere Gewißheit, es müsse meiner Großmutter
irgendein Unglück zugestoßen sein, obwohl gar nichts vorlag, das ihre Gedanken
vernünftigerweise in dieser Richtung hätte lenken können: und ihr Gefühl
war so mächtig und drängend, daß sie sich nicht abhalten ließ, gleich mit
dem nächsten Zug nach München zu fahren, wo sie dann die „Anmeldung"
aufs traurigste bestätigt fand."
Seite 202. „... Jener Einladungsabend (bei einem Dr. X. in Stuttgart, einem
Mitarbeiter des Hofrats Kürschner) gab mir nach längerer Zeit wieder friedlich-
ruhevolle Familieneindrücke. Uebrigens ist mir davon auch noch eine merkwür-
würdige „Geistergeschichte" in lebhafter Erinnerung. Es nahm nämlich an dem
Abend außer mir noch eine dem Ehepaar befreundete Gräfin Usedom teil, eine
würdige grauhaarige Matrone, die sich erst ziemlich schweigsam verhielt; später
aber, ohne daß ich das Gespräch in diese Richtung gelenkt oder der Gastgeber
von meiner spiritistischen Vergangenheit gewußt hätte, taute die alte Dame ein
wenig auf und gab ein rätselhaftes Erlebnis aus ihrer Jugendzeit zum besten,
wobei die Schlichtheit und realistische Anschaulichkeit der Erzählung alles glaubwürdig
errcheinen ließen. Die Gräfin kam damals als Reisebegleiterin einer
anderen hochadeligen Dame spät nachts nach Paris, und als sie in dem Hotel
absteigen wollten, das ihnen empfohlen war, erklärte der Besitzer, leider keinen
Eassenden Raum mehr frei zu haben. Bei der vorgerückten Stunde drängten die
tarnen darauf, sie trotzdem irgendwie unterzubringen, und schließlich, meinte
der Mann achselzuckend, zwei getrennte Zimmer für je eine Person und in verschiedenen
Stockwerken wären ja wohl noch verfügbar. Man entschloß sich zu
dem Notbehelf, nahm «ungewohnten Abschied, und die Gräfin ließ sich nach dem
für sie bestimmten Räume geleiten. Es war ein ziemlich großes Gemach, dessen
Bett in einem Alkoven hinter einem in der Mitte klaffenden Vorhang stand. Müde
von der Reise, schloß die junge Dame das Zimmer ab, das, wie sie sich überzeugte
, keinen zweiten Eingang hatte, entkleidete sich, streckte sich auf das
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