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Zeitschrift für Parapsychologie. 10. Heft. (Oktpber 1932.)
mir die Erlebnisse der Subjekte in ihrer ersten Phase durchaus den Charakter
von Wahrnehmungen der Wirklichkeit zu haben, die in ihrer
Besonderheit „natürlich" bestimmt sind durch eine Verlagerung des Gesichtspunktes
im Räume. Soweit sie nicht, wie in der vorletzten Gruppe von Fällen,
etwas Neues, bislang noch nicht Gewußtes oder Wahrgenommenes darbieten,
beziehen sie sich auf etwas so Banales und Vertrautes, daß für die Annahme
des „Hellsehens'* im üblichen Sinne durchaus jener Anreiz fehlt, welcher
bei allen bisher beobachteten Hellsehleistungen stets gegeben ist: der Anreiz
durch ein „Interesse" des Subjekts, durch einen Auftrag oder durch einen übernormalen
Impakt von außen. Andererseits schließt m. E. der ungewöhnlich
klare und geordnete Geisteszustand der Subjekte die Annahme von Halluzinationen
im üblichen Sinne aus1)
Gerade diese beiden Deutungselemente nun aber zieht Herr Dr. Osty für
seine Theorie der Exkursionserlebnisse unseres Typs heran. Bestände sie zu
Recht, so wäre meine Auslegung in der Tat widerlegt und damit c!ie Stützung
der spiritistischen These beseitigt, die ich in den Austritterfahrungen zu erblicken
glaube. Eine Auseinandersetzung mit seinen Gedanken ist somit für
mich ein Akt der Selbstverteidigung.
Dr. Osty stellt seine Fälle von edhter Exkursion in unserem Sinn zusammen
mit den von Dr P. Sollier gesammelten Fällen von Wahrnehmung des
eigenen Phantoms außerhalb des Körpers2) und stützt dann seine
Theorie auf die seines Eraohtens richtige Deutung, welche Dr. Sollier für jene
Fälle von „Autoskopie" ausgearbeitet hat. Sollier geht dabei von der Sensibilitätsstörung
aus, die er bei jedem seiner Subjekte beobachtet hat. Infolge
dieser Störung fühle das Subjekt nicht mehr, daß es normal — comme
ä Tordinaire — in seinem Körper lebe; dieser erscheine ihm, infolge der Aufhebung
oder Veränderung der Körperempfindungen, mehr oder weniger
fremd, woraus für das Subjekt die Einbildung entstehe, daß „sein bewußtes
((denkendes) Ich bis zu einem gewissen Grade exteriorisiert sei". Bei dem
herrschenden Zustande verminderter Selbstkritik (controle) aber fühle sich die
Einbildungskraft gedrängt, jene „Illusion" der Exteriorisierung des Ich dadurch
zu vervollständigen, daß sie die Gesichts Vorstellung des Körpers objektiviere
, — im extremen Fall bis zur vollständigen taktilen, auditiven und visuellen
Halluzinierung des Körpers im Außenraum.
Diese Theorie, die Dr. Osty für die Sollierschen Fälle als die richtige ansieht
, scheint ihm nun aber auch für die scheinbar entgegengesetzten
Fälle der Wahrnehmung des eigenen fleischlichen Körpers von außen
her die nötigen Deutungselemente zu enthalten. Auch in diesen bestehe vor
allem eine Beeinträchtigung (amoindrissement) des Bewußtseins und infolgedessen
eine Störung der Sensibilität (man bedenke die Rolle der künstlichen
Anästhesie, der Synkope, der Katatepsie usw. in Fällen von Exkursion). Die
x) Vgl. die ausführlicheren Darlegungen des früheren Artikels, 1931, S. 483—487.
2) P. Sollier, Les phänomenes d'autoscopie. Paris, 1903. Die darin gleichfalls
mitgeteilten Fälle von Schauen des eigenen Körperinnern berücksichtigte ich
eingehend in „Der jens. Mensch", S. 403 ff.
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