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Elitz: Das Problem der biblischen Wunder usw
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müßten. Wir alle sind viel zu sehr von dem Gedanken des unabänderlichen
Naturverlaufs, des unverbrüchlichen Naturgesetzes beherrscht, als daß sich nicht
die schärfste Kritik gegenüber dem biblischen Wunder in uns regen müßte.
Und so hat die gelehrte Bibelkritik, zumal im Lager der protestantischen
Theologie, tatsächlich den Versuch unternommen, den Inhalt der biblischen
Berichte so weit zu reduzieren, daß sie sich in den Rahmen der allgemeinen
menschlichen Erfahrung einfügen lassen. Und heute noch gibt es Geistliche
und Religionslehrer, die mit diesem Standpunkt ihren Gemeinden, ihren
Schülern, in erster Linie aber der Wahrheit zu dienen glauben.
Man läßt eventuell noch gewisse Heilungsberichte gelten, bei denen es sich
ja gar nicht um ein eigentliches Wunder handle, sondern offenkundig nur
um die suggestive Heilung sogenannter funktioneller Störungen, z. B. der
hysterischen Lähmung. Aber alles, was auf eine wirkliche und offenkundige
Durchbrechung der Naturgesetze hinausläuft, kann doch nur Legende
sein; ebenso alles, was über ein persönliches Eingreifen transzendenter geistiger
Wesen in die geschlossene Sphäre des natürlichen und des irdisch-menschlichen
Lebens erzählt wird.
Es^sei hier eine kurze Zusammenstellung solcher „unmöglichen Legenden
* gegeben:
Die mehrfach erwähnte Heilung von Aussätzigen. Unmöglich und rein
legendenhaft deswegen, weil es sich dabei doch um eine tatsächliche und
plötzliche Änderung in der organischen Substanz der Kranken handeln müßte,
was aller Erfahrung widerspricht! Oder das Wandeln Jesu auf den Wogen
des Meeres, Matth. i4, 22—33; oder die Brotvermehrung bei der Speisung
der Viertausend, Matth. i5, 32—38; oder der Bericht über die Befreiung
der Jünger bzw. des Petrus durch den Engel aus dem Gefängnis, Ap.-Gesch. 5,
17—23 und 12, 3—10; oder der Bericht über die Entrückung des Philippus,
Ap.-Gesch. 8, 39; oder die Erzählung vom Wandeln des Auferstandenen durch
geschlossene Türen, Joh. 20, 19—26; oder das plötzliche Reden der Jünger
in einer Fülle von fremden Sprachen sowie das gleichzeitige Auftreten von
Lichterscheinungen, Ap.-Gesch. 2, 1 ff.; oder die Erscheinung des Mose und des
Elia auf dem ^Berge der Verklärung, Matth. 17, 1—3: oder endlich die häufigen
Berichte über dämonische Besessenheit, sofern darin eine tatsächliche
„Besessenheit" angenommen wird.
In allen diesen und in vielen anderen Berichten handle es sich um eine
Durchbrechung von Naturgesetzen. \
Darum gebiete die Wahrheit und der nüchterne Sinn, alle diese Dinge
ins Reich der Legende zu verweisen.
Aber gebietet das die Wahrheit wirklich? Und handelt es sich wirklich um
Durchbrechung von Naturgesetzen? Und ist es wirklich ein erwiesenes
Axiom, daß ein Übergreifen transzendenter Bewußtseine in die Sphäre des
irdibch-menschlichen Lebens absolut unmöglich ist?
Oder handelt es sich bei der letzteren Behauptung vielleicht doch nur um
ein modernes Dogma, um eine moderne Voreingenommenheit?!
Und vielleicht ist das, was wir „Durchbrechung'* der Naturgesetze nennen,
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