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Kleine Mitteilungen.
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das Zeugnis der als seriöse Persönlichkeit zu wertenden Fliegerin Beinhorn erscheint
das Phänomen auch beglaubigt.
2. Siegfried von Vegesack, ein durchaus ernst zu nehmender zeitgenössischer
Schriftsteller, bezeichnet sein ebenfalls im „B. T." veröffentlichtes „okkultes
Erlebnis", wie schon erwähnt, ausdrücklich als „wahre Begebenheit". Der
tatsächliche Vorgang ist folgender:
S. v. V. besaß seit zwanzig Jahren eine ganz gewöhnliche schwar/e Taschenuhr
mit nachts leuchtenden Zeigern und Ziffern. Sie war ihm als Andenken an
einen Menschen, der ihm sehr nahe stand und dann unter furchtbaren Umständen
sein Leben verlor, besonders teuer. Diese Uhr nun verlor S. v. V. eines
Tages — fast genau am Todestag des Verstorbenen — beim Skilaufen, im tiefen
Schnee. Alles Suchen und Herunistochern in dem metertiefen Schnee, dein
außerdem eine Skihorde glatt gespurt und festgetrampelt hatte, war ergebnislos.
S. v. V. hatte keine Hoffnung, seine geliebte Uhr jemals wiederzubekommen.
Da er sich dem Verstorbenen gegenüber treulos vorkam und um sich für seine
Fahrlässigkeit zu bestrafen, wollte er sich keine neue anschaffen. Auf die Dauer
aber war diese Uhrlosigkeit schwer durchzuführen. Ein guter Freund lieh Siegfried
von Vegesack seine zweite Taschenuhr, „die monatelang beim Uhrmacher
gelegen hatte und merkwürdigerweise gerade kurz vor seiner Ankunft repariert
zurückgekommen war". S. v. V. wollte nun die geliehene Uhr nicht bei sich tragen
, aus einem unbestimmten Anhänglichkeitsgefühl für die verlorene Uhr, aber
er legte sie auf den Schreibtisch, und abends auf den Nachttisch. Er blieb also
der alten Uhr treu, benutzte aber die neue. Bis er im Juni aus einem kleinen
Oebirgsdorf in Vorarlberg eine Postkarte erhielt, auf der ihm sein Skilehrer mitteilte
, daß er seine Uhr „in tadellosem Zustande" gefunden hätte. Beinahe drei
Monate hatte sie also im Schnee gelegen. „Aber damit ist die Geschichte", wie
S. v. V. schreibt, „noch nicht zu Ende. Das okkulte Erlebnis kommt nach: Die
geliehene Uhr und die Postkarte lagen nebeneinander auf meinem Schreibtisch.
Beim Schlafengehen zog ich wie immer die Uhr auf und legte sie auf den Nachttisch
.
Als ich am nächsten Motten nach der Uhr sah, zeigte sie auf zehn Minuten
vor zwölf. Hatte ich vergessen, sie aufzuziehen? Nein, sie stand still, kein
Aufziehen half: Die Feder war gebrochen! Ohne den geringsten Anlaß:
kein Stoß, kein Fall1 Sie war einfach von selbst stehengeblieben. Der Uhrmacher
hatte sie wahrscheinlich nicht richtig repariert. — Aber einige Wochen
war sie dock ganz ordentlich gelaufen. Bis zu dem Tag, als die Nachricht von
der verlorenen und wiedergefundenen Uhr ankam: keine Minute länger!
Zufall? Natürlich, Zufall! Aber: was ist Zufall?"
Auch hier bürgt die Persönlichkeit des Erzählers für die Wahrheit der berichteten
Tatsachen. Aber /u welcher Art von parapsychologischen Phänomenen
gehört dieses kleine Erlebnis? Darf man es den materiellen (paraphysischen)
im weiteren, den physikalischen Erscheinungen im engeren Sinne zuzählen? Oder
wollen es am Ende die Spiritisten für sich in Anspruch nehmen, mit der Begründung
etwa, daß es sich hier um das Eingreifen eines Verstorbenen handelt?
3. Adrienne Thomas, die Verfasserin des ausgezeichneten elsässischen
Kriegsromanes „Katrin wird Soldat" erzählt in der „Vossischen Zeitung" (Nr. 56
vom 25. Februar 1932, Unterhaltungsblatt) die folgenden merkwürdigen Erlebnisse:
Adrienne Thomas, die ihre Freundin Anette seit dem Kriege nicht wiedergesehen
hatte, besuchte mit ihr zusammen ein Konzert in Frankfurt a. M., in dem man
sehr gute, moderne Musik spielte. Hinterher empfand Anette das Bedürfnis nach
dem vollkommenen Gegenteil, nach etwas Sentimentalem. Sie setzte bei Adrienne
sich an den Flügel und spielte die „Berceuse" von Chopin. — Dann kam eine
lange Zeit, in der die Freundinnen, wie so oft, nichts voneinander hörten. Sie
wußten trotzdem, daß ihre innere Bindung durch nichts zu trennen war, nicht
durch Zeit — durch keine Partei — durch nichts. Nach einer länger als ein Jahr
dauernden Pause ist Adrienne zu Weihnachten in Berlin. Sie ist allein zu Hause.
Unten spielen zwei „Hofmusikanten" Weihnachtslieder und dann plötzlich „ganz
außerhalb des Programms" die „Berceuse". In diesem selben Augenblick
bringt die Post Adrienne ein kl ei i es Paket und einen dicken Brief von
Anette.--Wieder sind zwei Jahre vergangen. Anette war sehr krank gewesen
und Adrienne, die während der Krise von dem Gatten Anettes auf dem laufenden
gehalten wurde, hörte monatelang wieder nichts; sie wußte nur, daß die Freundin
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