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Zeitschrift für Parapsychologie. 11. Heft. (November 1932.)

im Süden weilte. Da sich ihr gerade eine Möglichkeit bot, in der Nähe von
Cannes ein Häuschen zu mieten, bedauerte Adrienne, den genauen Aufenthalt
von Anette nicht zu wissen. Während sie die Koffer packt, spielt man in der
Etage über ihr eine Clementi-Sonate. Plötzlich bricht das Spiel jäh ab und geht
in die „Berceuse" über.

„Diesmal war es nur eine Karte, die ich in den Kasten fallen hörte. Eine
Karte von Anette. Sie trug den Poststempel »Cannes'." Bei dem gemeinsamen
Aufenthalt an der Riviera sprachen die Freundinnen von dem seltsamen Zusammentreffen
ihrer Briefe und dem Spiel der „Berceuse". Man kam überein, einander
zu schreiben, wenn sich etwas Ähnliches noch einmal ereignen sollte.' Als
aber Adrienne zum dritten Male die „Berceuse" hörte, im Frankfurter Palmengarten
, da war an diesem Tag Anette gestorben.

Adrienne Thomas schließt ihre Erinnerungen mit folgenden Sätzen:
„Wenn es sich um eine erfundene Geschichte handelte, wäre sie damit zu
Ende. Da sie aber Wort für Woit wahr ist, muß auch noch von einem
Traum berichtet werden: Anette war ein halbes Jahr tot, als ich träumte, sie
sitze mir gegenüber und weine. Im Leben habe ich sie nie weinen gesehen. Obwohl
sie Grund genug dazu gehabt hätte. Um so mehr erschütterten mich die
Tränen der toten.

Ich wache auf — alle Glieder sind mir bleischwer. Und in den Ohren habe ich
noch Anettes Schluchzen.

Ich läute nach dem Mädchen. Niemand kommt. Sie soll aber kommen — ich
muß jetzt eine lebendige Menschenstimme hören. Langes Läuten — wieder
niemand. —

Dann eben das Grammophon — oder noch besser — das Radio — nur irgend
etwas hören — einerlei was — meinetwegen die Wettermeldungen für den Landwirt
— nur eine lebendige Menschenstimme. —

Ich stelle das Radio an: ,Die Berceuse'." Diese Erlebnisse von Adrienne Thomas
wird man mit „Telepathie" allein kaum erschöpfend erklären können; hier fließen
offenbar die Grenzen von okkulten und spiritistischen Phänomenen ineinander.
In dieser Beziehung scheinen mir gerade diese Fälle für die Wissenschaft von
besonderem Interesse. Da Adrienne Thomas schwerlich einer gründlichen Erforschung
Hindemisse in den Weg legen würde, sollte man die Möglichkeit hierzu
zum mindesten nicht unversucht lassen. In den obenbehandelten Fällen handelte
es sich ausnahmslos um eigene Erlebnisse der Erzähler. In den nun
folgenden Schilderungen dagegen, die ich den „Münchner Neuesten Nachrichten"
entnommen habe, und die beide postmortale Spukphänomene zum Gegenstand
haben, stammen die Mitteilungen des Verfassers, des Münchner Dichters Willy
Seidel, aus zweiter Hand. Dadurch wird ihr Wert für die Wissenschaft
einigermaßen geminderl. Da aber auf der einen Seite der Verfasser eine Persönlichkeit
von unbedingter Glaubwürdigkeit ist, und da auf der anderen Seite
die Mitteilungen zum mindesten als Beiträge zur Erforschung postmortaler Spuk-
v^rgänge ergänzendes Material zu vergleichenden Studien darstellen, wollte ich
sie den Lesern dieser Zeitschrift nicht vorenthalten:

4. Der Münchner Dichter Willy Seidel gibt in der Nummer 21 der
„M.N. N." vom 23. Januar 1932, auf Seite 1 unter der Überschrift „Der Reflex
auf der Kommode" eine Schilderung seines Freundes Dr.C. über
einen postmortalen Spukfall bekannt, der den Lesern dieser Zeitschrift aus dem
Januar-Heft dieses Jahres noch in Erinnerung ist.

5. Ein zweites Erlebnis dieser Art, das er im Untertitel „Ein Dämmerungsgeschehen
" nennt, und das er ebenfalls nach der Erzählung eines zurückgezogen
in Starnberg lebenden Freundes wiedergibt, veröffentlicht Willy Seidel
in der Nummer 94 der „Münchner Neuesten Nachrichten" vom 7. April unter
der Überschrift „Das seltsame Tier".

Dieser Freund ging an einem Septemberabend des Jahres 1931 zu Fuß, halbwegs
zwischen Strand und Fahrstraße, von Feldafing nach Starnberg zurück.
Es war gegen 9 Uhr, der Himmel sternklar, kein Lüftchen, nicht der kleinste
Hauch regte sich. Es war so sternhell, daß der Fußpfad sich deutlich abzeichnete
und jedes Blättchen, jeder Ast an den Konturen der Bäame schattenrißfein
erkennbar war. Die ungeheure Stille hatte den einsamen Wanderer völlig ausgefüllt
, so daß er in „einen schwebenden Zustand" geraten war, in ein Gefühl,
selbst fast des irdisch Täglichen enthoben und ins nächtlich Kosmische entrückt


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