Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1932/0574
Kleine Mitteilungen

515

zu sein". Als er dann seine Blicke in die Runde geschickt und sie wieder auf den
Weg hatte zurückgleiten lassen sah er, dicht vor seinen Füßen ein Tier, das er
nicht hatte kommen hören. Wie er es so betrachtete, kam ihm zum Bewußtsein,
daß es offenbar einer wenig oder überhaupt nicht bekannten Gattung zuzuzählen
sei, denn seine äußere Form war sehr seltsam: „Es war tiefschwarz und glich
einer sehr großen Schildkröte. Etwa einen Meter lang und rund gestaltet, hatte
es einen kleinen spitzen Kopf. Als ich mich langsam (um es nicht zu verscheuchen
) bückte, verweilte es noch sekundenlang. Den spitzen Kopf reglos emporgestreckt
; dann aber ergriff es plötzlich die Flucht und lief raschelnd, in großer
Eile, die kleine Waldschneise hinauf ... Dabei stieß es einen Schrei aus, der sich
schwer beschreiben läßt. Wie der heisere Schrei eines wilden Hühnervogels
klang das, oder eines Menschen in letzter Todesnot. Nur ein einzigesmal und
ganz kurz. Meine Augen konnten dem Geschöpf nur ein paar Schritte weit folgen
: dann war es weg, Schatten unter Schatten."

Der Freund überlegte eine Weile, was das für ein Tier gewesen sein könne
und setzte dann seinen Weg fort. Nach einer Viertelstunde hatte er eine Waldecke
erreicht. Der letzte Baum zeigte ihm, gegen den helleren Himmel, einen
einzeln überstehenden Ast und auf diesem saß, halb herabgeneigt, wie zum
Sprung, wiederum das Tier. „Und fast gleichzeitig geschah ein Geräusch, als
falle ein Sack unmittelbar vor meine Füße auf den Pfad, und ich hatte das Wesen
wieder vor mir am Boden: den spitzen Kopf reglos erhoben; sammetschwarz,
seltsam."

Als das Tier dann wie zuerst raschelnd davonlief, mit demselben einmaligen,
krächzenden Schrei, glaubte der Beobachter zu* begreifen, daß die Erscheinung
etwas von ihm wolle und darauf aus sei, ihm dies verständlich zu machen. Das
Tier sei dann den Witsenweg hinuntergeeilt, der in ziemlich gerader Linie auf
sein Haus in Percha führe, also gerade den Weg, den er zu gehen hatte. Er sah
es deutlich laufen, dann plötzlich war es wie weggeblasen. „Da wußte ich mit
einem Male, daß es nicht von dieser Welt war. Leises Grauen kam mich an.
Doch ich zwang die keimende Furcht nieder und sprach mehrmals vor mich in
die Luft hinein: ,Du willst erlöst sein. Ich will dir helfen. — Ich werde für
dich beten. Allnächtlich werde ich für dich beten/ Mit größter Anstrengung
konzentrierte ich mich auf das Gefühl der Hilfsbereitschaft, und mit diesem Gefühl
ging ich schließlich zu Bett. — Kurz vor dem Einschlafen war mir noch, als
hörte ich, nahe dem Fenster, den bekannten, einmaligen Schrei. Nur etwas schwächer
schien er mir zu klingen." An den folgenden Tagen kam dem Freunde
W. Seidels das Erlebnis öfter in den Sinn zurück und er glaubte schließlich, daß
er im Zwielicht einer optischen Täuschung unterlegen sei. Nach etwa einer
Woche ging er abends zu etwas hellerer Stunde von Kempfenhausen heim. Es
war wieder ein stiller Abend, der Mond war als zarte Sichel am Himmel zu sehen.
Da hatte er plötzlich das Gefühl, begleitet zu werden. Ohne den Schatten eines
Zweifels wußte er augenblicklich, daß jenes rätselhafte Dämmerungsgeschöpf sich
wieder an seine Fersen heftete. Er vernahm zuerst nur den Schrei, dann sah er es.
Es lief am Straßenrand an ihm vorbei in der Richtung seiner Schritte, als habe
es ihn überholt. Dieses „Überholen" geschah dann an demselben Abend noch
etwa dreimal. Nun aber war dem Wanderer sofort eine Merkwürdigkeit aufgefallen
: es war zwar dasselbe Wesen, doch war es diesmal nicht mehr so
tiefschwarz, sondern bedeutend heller gefärbt, und zwar, wie
ihm schien: silbriggrau oder nebelgrau. Auch kam ihm vor, als sei es nicht
mehr von so runder Form, sondern schmäler und auch sonst
etwas kleiner. Wie ein Zwang habe ihn dann wieder die brennende „Hilfsbereitschaft
" überfallen „und ich rief laut: ,Wer bist du? Bist du eine irrende
Seele? Kann ich dir nicht helfen?"' Das Tier sei dann noch eine Weile vor ihm
hergelaufen, zusehends langsamer, dann sei es plötzlich, wie beim ersten Male,
verschwunden gewesen. Diesmal glaubte er nicht mehr an eine Augentäuschung.
„Ich wußte, daß etwas von ,Drüben* meinen Beistand suchte." Dies „Es" mußte,
so sagte er sich, dem anderen Reich wieder eingegliedert, mußte erlöst oder
vielmehr „aufgelöst" werden durch das Gute: „Es trieb sich inzwischen noch
auf der Schwelle herum."

So erlebte er „Es" noch ein drittes Mal. Wieder war es spät. Es herrschte
Halbmond. Der Freund Seidels ging am See entlang. Da hörte er wieder den
Schrei. Bei aller inneren Ruhe spürte er doch etwas wie Furcht. „Aber dann


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zs_para1932/0574