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540 Zeitschrift für Parapsychologie. 12. Heft. (Dezember 1932.)
wnßtsein gelangen. In verschiedenen telepathischen Versuchen hatte es den
Anschein, als entstehe manchmal eine« Verzögerung dadurch, daß das telepathisch
Übermittelte erst eine Weile im Unterbewußtsein des Empfängers „liegen
" bleibt, ehe es in sein aktuelles Bewußtsein eingeht, — falls es nicht überhaupt
im Unterbewußtsein verbleibt, ohne je aktualisiert zu verden, was ja
auch prinzipiell möglich wäre, wenn es auch vielleicht nur sehr selten vorkommt
. Es gäbe demnach folgende Möglichkeiten: i. die telepathische Sendung
geht vom aktuellen Oberbewußtsein des Senders aus und gelangt von da in das
aktuelle Oberbewußtsein des Empfängers, 2. sie hat denselben Ausgangspunkt,
gelangt aber nur ins Unterbewußtsein des Empfängers, wo sie unter Umständen
„stecken bleiben" kann, 3. die Sendung kommt aus dem Unterbewußtsein
des Senders (ohne aktualisiert worden m sein) und gelangt von da in das
aktuelle Oberbewußtsein des Empfängers, oder aber 4- nur in sein Unterbe-
w ußtsein.
Man pflegt zu sagen. Telepathie liege vor, wenn zwei Menschen ohne Vermittlung
der fünf Sinne „dieselben" Gedanken haben, und zwar gleichzeitig.
Auch wenn man dies nicht nur aut Gedanken, sondern auf seelische Regungen
und deren Inhalte überhaupt ausdehnt, dürfte es nicht stimmen. Denn es
könnte sehr wohl auf Zufall beruhen, wenn zwei Menschen einmal gleichzeitig
dieselben Gedanken haben, oder auf Gewöhnung und langes Zusammenleben
(wie bei Ehepaaren) oder auf einem ähnlichen Lebensrhythmus. In der Tat
wird ja immer wieder versucht, die Telepathie durch solche Erklärungen weg-
zudeulen. Zweifellos können also einmal zwei (oder mehrere) Menschen die
gleichen seelischen Regungen und Bewußtseinsinhalte haben, ohne daß Telepathie
vorliegt. Ebenso liegt die Gleichzeitigkeit dieser Regungen und Inhalte
bei der Telepathie zwar wohl meistens vor, jedoch scheint es Fälle zu geben, in
denen die „Sendung" erst mif einiger Verzögerung in das aktuelle Oberbewußtsein
des Empfängers gelangt, vielleicht infolge eines „Steckenbleibens'' in seinem
Unterbew ußtsein.
Wenn also weder die Gleichzeitigkeit noch die Gleichheit der Gedanken und
Regungen usw. das Vorhandensein von Telepathie gewährleisten, wenn sie auch
meistens mit ihr verbunden sind, wo liegt dann das Kriterium ihres Vorhanden-
sems? Meiner Meinung nach vor allem darin, daß die telepathisch übernommenen
Regungen usw. von der seelischen „Atmosphäre", oder „Ausstrahlung",
oder „Aura"1), oder wie immer man es nennen will, des Senders und nicht
von derjenigen des Empfängers durchdrungen, gleichsam „imprägniert" sind2).
Mir scheint dieses Moment des Durchdrungenseins von der Atmosphäre eines
anderen Menschen, die den telepathisch übernommenen Regungen usw. als
Über die sogenannte „Aura" vgl. meine „Phänomenologie der Mystik",
S. 104 f., 146 ff., ferner meinen Aufsatz im Septemberheft 1932 des „Journal of
the American S. P. R." über „Some Experiences concerning the Human Aura".
Was in theosophischen und anthroposophischen Kreisen darunter verstanden
wird, ersieht man u. a. aus Leadbeater-Besant: „Oedankenformen" und „Der
sichtbare und der unsichtbare Mensch", ferner aus Steiners Broschüre „Theosophie
".
2) Vgl. meine „Phänomenologie der Mystik", S. 56 ff.
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