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Buchbesprechu ngen.
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Beweisstellen seiner Vorarbeiter ist eine nun in bequemer Uberschau vorliegende
Sammlung von mehr als hundert Stellen geworden, die der Lebensgeschichte
, den wissenschaftlichen und dichterischen Werken, den Gesprächen
und den Briefen entnommen sind. Das Material wird von Walter auf Grund
wohldurchdachter Wertbeurteilung und in genauer Kenntnis der einschlägigen
Goetheliteratur, besonders der Sondergebiete Religion, Philosophie und Para-
psychologie kurz auf seine Bedeutung hin gewürdigt. (Dem Schreiber dieses ist
übrigens bekannt, daß Walter die Sammlung dieser Stellen bereits auf weit
über 200 gebracht hat.)
Der Unsterblichkeitsglaube Goethes bildet bekanntlich den Grundgedanken
und Ausklang seines gewaltigsten dichterischen Lebens werkes, des „Faust",
der ja sein Vermächtnis an die Menschheit darstellt. Dieser Glaube ist, wie
Walter nachweist, bei Bekundung schon in früher Zeit, natürlich allmählich
gereift und gewachsen, und zwar aus Intuition (der Glaube entstammt dem
Reiche des Unterbewußten, ist ein unerklärbares, tiefes Gefühl), als Forderung
der praktischen Vernunft (Hauptgrund für den Glauben an Unsterblichkeit
: „Daß wir sie nicht entbehren können"), aus Religion, Philosophie
(Paracelsus, Giordano Bruno, Spinoza, Leibniz) und dem Okkultismus
seiner Zeit (Jung Stillings magischer Idealismus und die Gebetserhörung
beschäftigen ihn, über die Seherin von Prevorst äußert er sich bedeutsam genug:
„Ich zweifle nicht, daß diese wundersamen Kräfte in der Natur des Menschen
liegen, ja, sie müssen darin liegen ...").
Dieser Glaube Goethes ist nun freilich kein kirchlicher, so eigentlich aber
auch kein philosophisch spekulativer. Goethe, als Dichter des Gegenständlichen
von der leoendigen Erfahrung ausgehend, ist auch als Denker aller
reinen Spekulation abhold. Abstraktionen sind ihm Undinge. So bejaht er zwar
das Ob des Weiierlebens gerade auf Grund seiner auf Sinnlichkeit gegründeten
Denkweise, von lebensabgewandten Spekulationen über das W i e will
er jedoch nichts wissen. Sein Glaube ist ein dynamischer und ethischer, Fortleben
ist Fortdauer der Tätigkeit und muß vom einzelnen verdient werden.
(„Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.")
Sehr aufschlußreich ist dac KajDitel über den eigentlichen Quellbrunn von
Goethes Unsterblichkeitsglauben, den Walter in seiner Methode des Denkens
sieht. Auf ihre Eigenart: planmäßiger Gebrauch einiger weniger Grundideen,
das „Plandenken", hat schon Chamberlain verdienstvoll hingewiesen. Solche
werkzeugliche Ideen oder Denkmotive sind vor allem die Polarität (Leib und
Seele, Entstehen und Vergehen, Ein- und Ausatmung). Walter arbeitet jedoch
noch die Bedeutung zweier weiterer solcher Grundwahrheiten heraus. Es sind
die der „geeinten Zwienatur" und die des ewigen Wechsels. Einen zusammenfassenden
Ausdruck für diese Art der Betrachtung aller Weltprozesse, zugleich
aber auch einen Lösungsve rsuch des uralten und oft so unheilvollen
Gegensatzes Geist — Materie, Seele — Körper durch Harmonie bieten
die unvergänglichen Verse:
Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen,
Als daß sich Gott-Natur ihm offenbare,
Wie sie das Feste läßt zu Geht verrinnen,
Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.
Diese geeinte Zwienatur hält Walter für das Eigentliche der Goetheschen
Entelechie oder Monade. Aus der Erkenntnis der großen, allgemeinen Metamorphose
erfließt die von der Ewigkeit des Seins („Am Sein erhalte dich beglückt
!"), dazu kommt die Annahme der Präexisten/ der Wiedergeburt und
Seelenwanderung, ferner Goethes Schicksals- und Sternenglaube. Heiliger Ernst,
Pflichterfüllung und Tatkraft sind freilich unerläßliche Vorbedingungen der
Emporentwicklung, Vergeistigung und eines Folgelebens.
Die allgemeine Bedeutung dessen, was Walter hier in knappster Formulierung
oft nur andeuten konnte, ersieht man unter anderem auch aus der begeisterten
Aufnahme, die das Weik Franz Kochs, „Goethes Stellung zu Tod
und Unsterblichkeit" (Weimar 1932), fand, das auf gleichen Spuren wandelt
und als des Nobelpreises würdig hingestellt wurde.
Der Schreiber dieser Zeilen weiß, daß Prof. Walter — seit seinen vielbeachteten
Vorträgen über „Goethe als Okkultisten" in Wien und anderen
österreichischen Landeshauptstädten auch weiteren Kreisen als Goetheforscher
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