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Zeitschrift für Parapsychologie. Heft 8. (August 1933.)
Pioniere aus der englischen Geistlichkeit sind kürzlich gestorben, es sind der bekannte
Rev. John Lamond und Rev. Vale Oven. Diese beiden sympathischen
Erscheinungen, hauptsächlich Vale Owen, haben durch ihre Bücher sehr bedeutende
Beiträge zur spiritistischen Literatur geliefert.
Von den älteren spiritistischen Vertretern der Geistlichkeit sind noch geblieben
Rev. Tweedale und Dayton Thomas. Das Buch von Tweedale „Man's Survival
after Death" ist zweifellos eine der bedeutendsten Publikationen über Spiritismus
, welche in den letzten Jahren erschienen ist In diesem Buch werden die
engen Beziehungen zwischen den medialen Phänomenen und den Heiligen Schriften
klargelegt Die sogenannten biblischen Wunder werden alle wissenschaftlich auf
Grund der mediumistischen Erscheinungen begründet. Tweedale hat übrigens im
eigenen Hause die verblüffendsten Spontanphänomene aller Art, Apporte, Erscheinungen
, direkte Stimme, mediale Photographie usw. erlebt. Mit Rücksicht auf seinen
einwandfreien Ruf als ernster Forscher und makelloser Ehrenmann muß man
seinen schier ans Unglaubliche grenzenden Berichten Glauben schenken, um so
mehr, da die meisten Berichte durch andere Zeugen beglaubigt werden. Der Rev.
Dayton Thomas ist auch ein ernster Forscher, der ein sehr eingehendes und1 wissenschaftliches
Buch über den Mediumismus Mrs. Leonards verfaßt hat. Man kann
ihm höchstens vorwerfen, daß der Ton dieses Buches etwas zu orthodox für den
echten Spiritismus ist. Die Geister Dayton Thomas sind nämlich alle sehr streng
christlich in ihren dogmatischen Ansichten, was von Dayton Thomas besonders
betont wird, da er in dem Spiritismus deshalb keinen Widerspruch zum Christentum
erblickt.
Dies bringt uns zum Hauptangriffspunkt der orthodoxen englischen Geistlichkeit
gegen den Spiritismus. Sie werfen ihm vor, er sei u n c h ri s tl i ch,
weil er sich über die Sekten stellen will. Folglich sei er vom Teufel. Nun ist es
wahr, daß der religiöse Spiritismus, wie er in England gepflegt wird, eine Stellung
jenseits der Sekten beansprucht. Er will keiner besonderen Religion gehören,
da er auf dem Standpunkt steht, daß auch die Juden, die Buddhisten, die Mohammedaner
sowie die Christen Spiritisten sein können. Die dogmatischen
Grundsätze des Spiritismus als Religion sind nicht bei dem kirchlichen Dogma zu
suchen, sondern sind in der Auffassung begründet, daß erstens die menschliche
Persönlichkeit und Individualität nach dem physischen Tod bestehen bleiben und
zweitens, daß der Verkehr mit den Abgeschiedenen, die weitergewandert sind
und sich weiter vervollkommnet haben, von gewaltigem ethischem Vorteil für
die Menschheit ist. Ferner, daß die guten Geister (die Existenz von niedrigen
Geistern wird zwar nicht abgelehnt, jedoch ihre Fähigkeit, guten Menschen Übel
zu tun, verneint) im göttlichen Auftrag handeln, und daß sie die Boten oder vielmehr
die Engel Gottes sind, wovon in der Bibel die Rede ist. Unter den englischen
Spiritisten befinden sich also die verschiedensten Glaubensarten vom Judaismus
bis zum Buddhismus. Selbstverständlich ist der christliche Teil der spiritistischen
Bewegung sehr erheblich, jedoch ist es nicht Vorschrift, daß ein Spiritist Christ
sfin muß. Darum wird der Spiritismus als Religion von den fanatischen Geistlichen
in Grund und Boden verurteilt, weil sie das christliche Dogma als die einzige
Erlösung predigen. Der antispiritistische Klerikalismus lehrt, daß es nicht die
Seelen der Verstorbenen sind, die sich kundtun, sondern lediglich personifizierte
böse Geister und Teufel. Bemerkenswert ist es jedoch, daß nur eine kleine Minderzahl
der Geistlichkeit noch zu behaupten wagt, daß die Phänomene nicht echt
sind. Gegen diese Auffassung sind die Beweise zu stark. Die klerikalen Gegner
sind also genötigt worden, diese Mauer der Verteidigung aufzugeben und haben
sich auf den inneren Verteidigungsgürtel (nämlich die Teufelstheorie) zurückziehen
müssen. Nach dem rapiden Zuwachs des Spiritismus in England führt die
Kirche einen aussichtslosen Kampf und sie wird einmal gezwungen sein, diesen
Glauben in ihre orthodoxen Grundsätze einzuverleiben, nachdem, wie gesagt,
immer mehr Geistliche zum Spiritismus übergegangen sind und sich nicht scheuen,
ihre Überzeugung von ihren eigenen Kanzeln zu predigen.
Woraus besteht nun ein spiritistischer Gottesdienst? Hier in Deutschland ist
ein solcher Gottesdienst kaum vorstellbar. Man könnte aber vielleicht mit Recht
behaupten, daß diese von allem ritualistischen Ballast befreiten einfachen Gottesdienste
den Urzeremonien des Christentums am nächsten kommen. Eine Hymne eröffnet
den Gottesdienst. Es folgt dann das Vater Unser, meistens gesungen. Die
Leiterin oder der Leiter des Gottesdienstes, der den Pastor oder Priester
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