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von Reuter: Die Entwicklung der spiritistischen Bewegung in England. 381
ziehen und entwickeln. Die breite Öffentlichkeit ist keineswegs gezwungen, sich
auf jegliches beliebiges Medium zu verlassen, sondern es ist ihr durch die unzähligen
Gemeinden Gelegenheit genug geboten, nur zuverlässige, über jeden Zweifel
stehende, Medien kennenzulernen, die durch Sachverständige des Mediumismus
bereits geprüft worden sind.
Die Marylebone Gesellschaft, die Spiritualist Alliance, das Psychic College und
so weiter ad infinitum: jede Gemeinde hat ihren Stab von Medien, die, wenn auch
nicht alle auf gleicher Höhe, doch echte Leistungen gewähren.
Am zahlreichsten sind in England die Podium-Hellseher, worunter allerdings
ausschließlich spiritistische Hellseher zu verstehen sind. Wahrscheinlich dürfte
die bedeutendste Hellseherin Englands gegenwärtig Mrs. Estelle Roberts sein.
Zwei andere gute Hellseherinnen sind Mrs. Annie Johnson und Miß Frances Campbell
. Ein guter Hellseher ist Mr. Glover Botham. Bei dieser Gelegenheit möchte
ich jedoch bemerken, daß, meiner Erfahrung nach, die Podiumleistungen des
Amerikaners, Dr. Arthur Ford, höchstens durch Mrs. Roberts erreicht werden.
Die Zahl der Podiumhellseher ist endlos und ich will hier keinen Versuch machen,
sie alle zu nennen. An zweiter Stelle kommen die Trancemedien, die in sehr
respektabler Anzahl vertreten sind. Als Klasse für sich ist zunächst Mrs. Osborne
Leonard, das bedeutendste lebende Trancemedium, zu nennen. Sie hat übrigens
ein recht unterhaltendes Buch über ihren eigenen Werdegang geschrieben. Mrs.
Leonard ist stets für 6 Monate im voraus bestellt. Es gibt Menschen, zu denen
ich leider gehöre, denen es nie gelungen ist, an Mrs. L. heranzukommen. Ich
war einmal vorgemerkt; doch mußte die Dame wegen Krankheit eine Weile aussetzen
. Mrs. l. ist eine sehr vornehme Erscheinung und stammt aus guter Familie.
Andere bedeutende Trancemedien sind: Mrs. Britain, Mrs. Mason, Mrs. Garett
und Mr. Vout Peteis. Mit allen diesen habe ich gesessen und absolut einwandfreie
Leistungen beobachtet; jedoch betrachte ich < Dr. Ford, wenn er in Form ist,
als noch bedeutender.
Eine Spezialität des British College of Psychic Science, ist die Entwicklung de^
Trancemediumismus. Bei Materialisationen ist es, wie überall, schwer, von einwandfreien
Leistungen zu erzählen. Nach der teils gelungenen Diskreditierung
der Mrs. Duncan muß man hier sehr vorsichtig bei der Beurteilung sein. Doch
soll ein Materialisationsmedium aus New Castle namens „Strange" recht einwandfreie
Phänomene dieser Art bieten. Ich habe Mr. Strange allerdings nicht erlebt.
Dagegen ist das Phänomen der „direkten Stimme" in England sehr verbreitet.
Die bedeutendste Vertreterin dieser Gattung, nachdem das Medium Evan Powell
sich von der Öffentlichkeit ganz zurückgezogen hat, ist Mrs. Estelle Roberts,
deren Sitzungen an das Fabelhafte «grenzen sollen. Nach Aussage der Teilnehmer
gelingen bei ihr nicht nur in 99 Fällen von 100 einwandfreie Identitätsbeweise,
sondern die kundgebenden Intelligenzen sprechen in eigenem Tonfall, wie im
Leben, was bei der direkten Stimme nicht häufig ist, wegen der Schwierigkeit der
Stimmbildung.
In Schottland dürfte das beste Stimmmedium John Sloane sein. Über seine
Phänomene hat ja Findley in seinem Buch ausführlich geschrieben. Auch bei ihm
sollen die Identitätsbeweise hervorragend sein.
Das Überzeugende, bei der „direkten Stimme" in England ist ihr häufiges
Auftreten in Privat-Dilettantenzirkeln, bei Menschen, die absolut kein pekuniäres
Interesse daran haben und nur zu ihrem eignen Vergnügen experimentieren, so
daß der von Skeptikern injmer hervorgehobene Grund zum Schwindeln — die
»materiellen Interessen — ganz fortfällt. Warum sollen Menschen, welche ihre
Sitzungen in der frommsten Weise durchführen, sich gegenseitig beschwindeln?
Allerdings ist die Qualität der in den verschiedenen Privatzirkeln empfangenen
Botschaften sehr verschieden. So habe ich z. B. einmal in einem Privatzirkel in
London direkte Stimme-Gespräche erlebt, die inhaltlich so banal waren, daß man
sich für die Geister direkt schämen mußte. Es war ohne weiteres zuzugeben,
daß man aus dem Spiritismus auf diesem Niveau keinen ethischen Nutzen ziehen
konnte, und daß die Einwendungen der Gegner wegen Banalität der Kundgebungen
in diesem Falle berechtigt waren. Trotzdem hatte ich nicht das Gefühl
eines Schwindels. Die Leiter des Zirkels verlangten kein Geld und schienen
eifrig bei der Sache zu sein. Solche Erlebnisse bestätigen nur die Tatsache, daß
jeder Oeist nicht sofort nach dem Toda in ein Wunder der Klugheit verwandelt
wird und daß man Banalitäten vom Jenseits ebenso leicht bekommen kann als
im täglichen Leben. Wie könnte es anders sein?
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