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Fischer: Zur Frage der Kriminaltelepathie.
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Gehirnerschütterung erlitten (aber nicht im Kriege) und es verblieb ihm davon
eine starke Reizbarkeit. Seine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof und waren
unschlüssig, ob sie den Hof ihm oder seinem Bruder vermachen sollten. Deshalb
war zwischen den beiden Brüdern, die bei den Eltern wohnten, ausgesprochene
Feindschaft. Der Bruder, nach dem Aktenmaterial ein sehr roher Mensch,
war die Ursache, daß zwischen den Brüdern ein Prozeß schwebte. Am Tage vor
der Tat hatte der Bruder den Schreiber sehr ernstlich bedroht, so daß dieser
flüchten mußte und erst nachts, als der Bruder bereits achlief, nach Hause
zurückkehrte. Aus Vorsicht verbarrikadierte er sich in seiner Kammer und bemerkte
auch, daß nachts jemand die Tür zu öffnen versuchte. Er meinte, es
wäre der Bruder gewesen. Am nächsten Morgen wollte er sich aus dem Hause
herausschleichen und wartete ab, bis der Bruder aus dem Hause war. Er holte
sich seine Werkzeuge, und als er diese, in einer Ecke des Zimmers hockend, zusammenlegen
wollte, kam der Bruder plötzlich hinzu und ging in feindseliger
Absicht gegen ihn los. Erschrocken zog der Schreiber einen Revolver aus der
Tasche, schoß und erschoß den Bruder. Zwecks Abgabe eines Gutachtens wurde
er als Untersuchungsgefangener von mir untersucht.
In den Aussagen R s ist sozusagen alles Tatsächliche richtig erfaßt, Außerdem
kommen darin einige Äußerungen vor, die nicht richtig sind: so die Schilderung
, er hätte das Opfer eingewickelt und wie in eine Birne hineingeschlagen
— doch korrigierte zum Schlüsse R. diese Aussage, indem er von einem Schuß
sprach. Unrichtig ist weiter, daß der Betreffende den Schock im Kriege erlitten
hatte, und zwar dadurch, daß er irgendeinem Unglücksfall zugesehen hätte.
Die Schilderung, er hätte vor sich Bajonette, wo er sich nicht rühren könne, und
die Vergewaltigung ist dem Wortlaut nach auch nicht richtig, doch könnte man,
wenn man wollte, sie so auslegen, daß sie die richtige Stimmung wiedergibt, als
er plötzlich, in einer Ecke zusammengekauert, den stärkeren und roheren Bruder
in drohender Pose vor sich sieht und in dieser Angst zum Revolver greift.
Diese letzten zwei Versuche, wenn sie auch vom Standpunkte irgendeines
Trugschlusses infolge Triks usw. einwandfrei sind, sind doch vom theoretischen
Standpunkte der präzisen Zergliederung der sensitiven Leistungen nicht ganz eindeutig
. Wie wir später sehen werden, muß man gerade bei kriminellen Versuchen
eventuelle telepathische Nebenwirkungen ausschalten; nun gelingen bei
Reimann telepathische Versuche ebenso wie bei Schermann. In diesen beiden
letzten Versuchen wußte ich4 was ich R. vorlegte, kannte die Schreiber und
deren Delikte, und deshalb könnte der Einwand gemacht werden, daß die
Leistung R.s hier auch auf Telepathie beruhen könnte. Deshalb wurden die
nächsten Versuche so durchgeführt, daß eine telepathische Mitwirkung so gut
wie ausgeschlossen war.
Versuch l\. Ich legte R. fünf Briefumschläge vor. In jedem derselben
befand sich je ein Schriftstück; die Umschläge waren nicht bezeichnet. R. ent*
nahm den Briefumschlägen die Schriftstücke so, daß ich nicht sehen konnte,
was er in der Hand hatte. Vom kriminalistischen Standpunkte kommt nur der
folgende Versuch in Betracht, bei dem das Schriftstück einige ganz nichtssagende
Zeilen und als Unterschrift nur den Vornamen enthielt. (Den Fami-
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