Freiburger historische Bestände - digital

DER ANDERE FREUD -

zu der dreibändigen freud biographie

von e. jones1

von john mischo
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Über einen langen Zeitraum hinweg tat sich für jeden, der nach der Lektüre
von Freuds Werken griff, eine merkwürdige Diskrepanz auf: dieser
Forscher, dessen ganzes Leben darauf ausgerichtet war, in die Tiefe
psychischer Erfahrungen vorzustoßen und ihre verborgenen Untergründe
freizulegen, der Mann, der seine Patienten zu einer intimen Lebensbeichte
bewegen konnte - er selbst war, was seine private Biographie
anging, fast ängstlich bedacht, sie vor den Augen seiner Mitwelt zu verbergen
. Genau diesen Schleier der Diskretion wollte der geniale Begründer
«der indiskreten Wissenschaft» sich um sein Privatleben bewahren.
Bereits als 28-Jähriger schrieb er am 28. April 1885 an seine Verlobte,
daß er ein Vorhaben ausgeführt habe, «welches eine Reihe von noch nicht
geborenen, aber zum Unglück geborenen Leuten schwer empfinden
wird. Da Du doch nicht erraten wirst, was für Leute ich meine, so verrate
ich Dir's gleich: es sind meine Biographen. Ich habe alle meine Aufzeichnungen
seit 14 Jahren und Briefe, wissenschaftliche Exzerpte und Manuskripte
meiner Arbeiten vernichtet2.» Eine zweite, gründliche Vernichtungsaktion
startete Freud 1908. Seine Auffassung, die trotz ihres selbstironischen
Humors den ernsthaften Willen zur Verteidigung der eigenen
Intimsphäre erkennen läßt, liegt bereits 1885 fest, als er den Brief an seine
Verlobte beendet: «Die Biographen aber sollen sich plagen, wir wollen's
ihnen nicht zu leicht machen. Jeder soll mit seinen Ansichten über die

1 E. Jones: Das Leben und Werk von Sigmund Freud. Übersetzt aus dem
Englischen von G. Meili-Dworetzki unter Mitarbeit von K. Jones. Huber-
Verlag, Bern und Stuttgart, 1960-1962.

Band I: Die Entwicklung %ur Persönlichkeit und die ersten großen Entdeckungen,

18j6-1900y DM/Fr 42.-
Band II: Die Jahre der Reift\ 1901-1919, DM/Fr 45.-
Band III: Die letzte Phase, 1919-1939, DM/Fr 52.-

2 E. Jones: Bd. I, S. 10.