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DIE HYPOTHESE DES ENTLARVUNGSTECHNIKERS 139
beiden weiteren Prinzipien der motivationsbedingten Wahrnehmung aufweisen
: die der Selektion und Akzentuierung. Auch hier kann uns die Analyse
von Beispielen Anschauungsmaterial liefern.
Durch das Entgegenkommen von Prof. E. Lanyi erhielt Gubisch die
Anschrift von Frl. S. aus Wien, der einzigen noch auffindbaren Zeugin
der Vorfälle vom Morgen des 28. Juni 1914. Er fragte brieflich an und
bekam unter dem Datum vom 27. 9. 1944 folgende Antwort:
Auf Ihre werte Anfrage vom ij.d.M.... muß ich Ihnen leider mitteilen,
daß ich mich %uf°l&e der langen Zeit, die nach diesem Ereignis verstrichen ist, sehr
mangelhaft an Einzelheiten erinnere. Eines weiß ich, daß der Herr Bischof damals
sehr aufgeregt war, auch über seinen Traum sprach, ob dies aber denselben
Tag, als er die Nachricht erfuhr, oder am Tag darauf geschah, ist meinem Gedächtnis
gänzlich entschwunden.» (Gubisch, S. 160)
Aus diesem Brief geht eindeutig hervor:
1. Die Zeugin kann sich, 30 Jahre nach dem Ereignis, an keine Einzelheiten
des 28. Juni 1914 erinnern.
2. Sie weiß aber, daß der Bischof große Aufregung zeigte.
3. Der Bischof sprach über seinen Traum - wobei sich die Zeugin, «zufolge
der langen Zeit, die nach diesem Ereignis verstrichen ist», nicht genau
erinnern kann, ob dies am 28.6.1914 oder einen Tag später gewesen ist.
Wir wissen nicht, wie alt Frl. S. bei der Befragung war und mit welcher
Mühe für sie die Beantwortung eines Briefes verbunden war. Es hätte
also nahegelegen, die Zeugin anschließend mündlich zu explorieren und
ihr im Gespräch die Chance zu geben, die Ereignisse vom 28. 6.1914 noch
einmal anschaulich an sich vorüberziehen zu lassen. Mit Sicherheit wäre
dadurch ein Gewinn an Informationen zu erreichen gewesen. Doch darauf
kam es anscheinend Gubisch nicht mehr an, er hatte die Antwort, die
in sein Konzept paßte.
Gubisch dagegen findet es «überraschend», daß sich die Zeugin auf
Anhieb «der Einzelheiten eines so einzigartigen Ereignisses nicht mehr
erinnern kann» (S. 161). Wer dagegen auch nur etwas Erfahrung mit
Zeugenaussagen hat - und der Entlarvungstechniker müßte sie haben -
den kann es keineswegs überraschen, wenn jemand sich nach dreißig
Jahren nur sehr mangelhaft an Einzelheiten eines bestimmten Ereignisses
erinnern kann. Gubischs gespielte Überraschung über diesen Tatbestand
steht jedoch im Dienste seiner Hypothese, denn er fährt, an die Meinung
seiner Zeitgenossen appellierend, fort:
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