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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-11/0010
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Die Markgrkfschaft

Das Gefecht von Staufen / Aus

Friedrich Rottra, Landwirt und Ankerwirt in
Kirchen am Rhein, wahrscheinlich hugenottischer
Abstammung, war ein Bürger und Volksmann von
echtem Schrot und Korn, unternehmend, weitblickend
, als Landwirt hervorragend, eine volkstümliche
Gestalt. Geboren 1821, begann er am
1. August 1848 sein „Tagebuch" niederzuschreiben.
In schöner, klarer Schrift, mit Geist und Urteil,
schreibt er von seinen Ahnen, seiner Hochzeit,
seiner Familie; über die Ernte, den Herbst, die
Preise, die Witterung und erweist sich als gut
unterrichtet und belesen. Sein Tagebuch wäre
wert, ganz abgedruckt zu werden.

Hier bringen wir den Schluß seiner Aufzeichnungen
, die er 1855, also sieben Jahre nach dem
wichtigsten Ereignis seines Lebens, der badischen
Revolution, niederschrieb: sie brechen mitten in
der Schilderung des Gefechts von Staufen unvermittelt
ab . . .

Die Handschrift des Tagebuches befindet sich
heute im Besitz eines Enkels von Rottra, des
Arztes Dr. Hermann Poeschel in Kirchen, dem
hier für die Erlaubnis, einen Auszug abzudrucken,
herzlich gedankt sei. H. Burte.

Das Jahr 1848

Februar, den sechsten.

Der Monath Januar war durchwegs mäßig kalt,
die Erde beständig mit Schnee bedeckt, so daß
man fortwährend Schlitten fahren konnte. Erst
seit zwei Tagen haben wir Thauwetter. — Der
Wasserstand des Rheins war so klein, daß er am
Tiefsten kaum fünf Fuß Wasser hatte und seit
anno 1823 nicht mehr so klein war. Gegen Ende
Jenner trieb er einige Tage stark Grundeis.

Den 16. Februar 1855.

Sieben Jahre sind an mir vorübergegangen,
ohne daß ich Zeit gefunden hätte, meine Erfahrungen
in dieses Buch niederzuschreiben oder
meinen Gefühlen Worte zu leihen. Eine Zeit, so •
reich an inhaltschweren Ereignissen für mich, für
meine nächste Umgebung, sowohl für ganz Europa
, wie sie oft ein halbes Menschenalter nicht
darbietet. Eine Revolution mit allen Schrecken
und Greueln ist an uns vorübergegangen und hat
mit ihren gewaltigen Schlägen die Völker erschüttert
, sie hat Tausende von Opfern gefordert
und Millionen Menschen unglücklich gemacht. Es
.gibt Zeitabschnitte im Leben, in denen sich eine
solche Masse ereignisreicher Vorkommnisse für
•einen einzelnen Menschen sammeln, daß er nicht
imstande ist, solche nach ihrer tiefen Bedeutung
zu fassen und zu würdigen, sondern sein Geist
•erliegt dem Gewicht der Empfindungen, welche
teils eine so sturmbewegte Zeit, teils auch die
traurigen Schläge des unerbittlichen Schicksals
oijDer ihn kommen lassen.

Als im Jahre 1847 Papst Pius IX. den Römern
eine freiere Verfassung schenkte und sich den
Anschein gab, als liege ihm wirklich das Wohl

dem Tagebuch eines Achtundvierzigers

seines Volkes am Herzen, da erwachte manche
Hoffnung auf bessere Zeiten. Der Schweizerische
Sonderbundskrieg folgte hierauf, der mit Vertreibung
der Jesuiten und Aufhebung des Sonderbundes
endigte, zum Frohlocken der freisinnigen
Männer aller Staaten. Damals begann unter den
Völkern sich ein Geist Bresche zu brechen, vor
dem den Gewaltigen der Erde heimlich grauen
mochte, im Drang nach Freiheit und Uabhängig-
keit, der, in den ständischen Kammern großgezogen
, in den Februartagen des Jahres 1848 in
der Hauptstadt Frankreichs zum Sturm anschwoll
und einem wucherischen Könige, der ohnmächtig
in die Speichen des Rades der Zeit zu greifen
wagte, den Thron kostete. Die Republik ward in
Frankreich proklamiert und mit ihr dem unbestimmten
Freiheitsdrang eine bestimmte Form
gegeben. „Die Republik wollen wir haben!" erscholl
es in Baden, erscholl es in ganz Deutschland
, in Italien und in Ungarn.

Die badische Kammer, durch mehrmalige Auflösung
endlich zum größten Teil aus liberalen
Männern zusammengesetzt, benützte diesen Zeitpunkt
und forderte nachdrücklich von der Regierung
die ungeschmälerte Anerkennung und Gewährung
einer Verfassung, besonders Pressefreiheit
, freies Versammlungsrecht, allgemeine
Wehrpflicht und Aufhebung aller Vorrechte.
Massenhafte Deputationen des Volkes unterstützten
die Kammern in ihrem Unternehmen. Damals
war alles liberal, wie bei uns, so in ganz
Deutschland; die Fürsten zitterten und willigten
in alles ein. Die Männer des Volkes tagten in
Frankfurt und beriefen eine Deutsche Nationalversammlung
, die die Rechte des Volkes festsetzten
und die Einigung Deutschlands anbahnen
sollte. Doch wie der Mensch selten zufrieden ist
mit dem, was er hat, so auch hier. Einzelne Mitglieder
schieden aus der Versammlung aus, unzufrieden
mit dem Gange ihrer Geschäfte, so
Friedrich Hecker, damals der Abgott des badischen
Volkes, und pflanzte die Fahne der Revolution
unter Proklamierung der Republik zuerst im
Seekreise auf. Männer aus allen Ständen schlössen
sich seinem Zuge an, besonders Struwe und
Weißhaar als Anführer. Die Regierung sammelte
schnell ihre Truppen, berief auch noch die Hülfe
der Hessen, welche mit denselben unter Anführung
des Generals von Gagern die Freiheitsmänner
auf der Scheideck nach kurzem Gefecht
auseinanderjagten, zwar mit Verlust ihres Generals
. Ähnliche republikanische Streifzüge unter
Herwegh, Willich usw. wurden bald von den
Regierungstruppen gesprengt.

Unsere Gegend wurde überflutet mit württembergischen
, badischen und hessischen Soldaten,
und die Einquartierung dauerte ohne Ende. Als
anscheinend die Stimmung des Volkes ruhiger
wurde, wurden die Truppen zurückgezogen aus
unserer Gegend. Diesen Augenblick benutzte
Struwe, um mit einigen Getreuen eine neue
Schilderhebung durchzuführen. Es war gerade
Lörracher Jahrmarkt, als abends mein Vater von


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