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Markgräfler Jahrbuch
3.1954
Seite: 102
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metenwein" von 1811, als Merkwürdigkeit wurde sogar da und dort noch hundertjähriger
Wein in Flaschen aufbewahrt. Die alten Markgräflerweine bekommen
einen Firnisgeschmack, der ihren "Wohlgeschmack beeinträchtigt.

Als ich in der Markgrafschaft praktizierte, mag dort in den Reborten mehr
Wein als Wasser getrunken worden sein. Der Wein war der eigentliche Haustrank.
In vielen Bauernhäusern erhielten schon die Kinder bei Tische Wein, sobald sie
das Alter erreicht hatten, um mitzuspeisen, je nach dem Alter erhielten sie die gefüllten
Weingläser in abgestufter Größe vorgesetzt. Der Wein galt für ein Stärkungsmittel
, sogar die Hebammen huldigten diesem irrigen und gefährlichen Glauben
. Sie ließen die Frauen, um die Geburt zu erleichtern, ein Glas um das andere
trinken; ich sah nur Nachteil davon, es erschwerte und verzögerte den natürlichen
Hergang. Es gab Leute, die täglich 4, 5 und mehr Flaschen tranken. In fast allgemeinem
Gebrauche war das „Nünitrinken" (Neunuhrtrinken) beim zweiten Frühstück
, wobei man aber nicht außer acht lassen darf, daß die Leute meist schon von
5 Uhr an gearbeitet und das erste Frühstück, die „Morgensuppe", gleich nach dem
Aufstehen genommen hatten; zu ihrem Wein speisten sie Brot, Käse, Speck, Fleisch.
Unglaublich dürfte die Schoppenzahl klingen, die den Schnittern während der
Ernte zugestanden wurde; 12, 16 und mehr für den Tag, aber der Erntewein war
ein Getränk, weniger erregend als durstlöschend, sein Gehalt an Alkohol gering,
an Säure groß, der Wasserverlust bei der heißen Arbeit vom Aufgang bis zum
Niedergang der Sonne riesig. Da galt in Wahrheit der Spruch des Rodensteiners:

„Man spricht vom vielen Trinken stets,
doch nie vom vielen Durste."

Ungeachtet dieses reichlichen Weingenusses waren wirkliche Trunkenbolde und
Säufer doch nicht häufig. Ein Räuschchen ab und zu galt für erlaubt. Gleich am
ersten Tage nach meiner Ankunft in Kandern sah ich aus den Fenstern des Gasthauses
zur „Krone", wo ich abgestiegen war, ein altes Bäuerlein in rosigster Laune
zickzackförmig seinen Weg aus dem Städtchen nehmen. Als ich über den seltsamen
Gang des Alten den Kopf schüttelte, bedeutete mir der ernste und sehr solide Kronenwirt
, der auch schon in vorgerückten Jahren stand, ich solle dem Bäuerlein sein
„Rüschli" zugute halten, wir seien eben im Markgräflerland, wo ein solches Vorkommnis
der Achtbarkeit auch des ältesten Mitmenschen keinen Eintrag tue.

Schweren Formen von Alkoholismus bin ich in der Markgrafschaft bei Personen
, die nur Landwein und keine gebrannten Wasser tranken, nicht begegnet,
öfter leichteren Formen des delirium alcoholicum, wenn sie von fieberhaften und
rasch die Kräfte herabsetzenden Krankheiten befallen wurden, Pneumonie z. B.
und Ruhr. Opium leistete in solchen Fällen mitunter nichts, das Delirium schwand
am ersten, wenn der ausgesetzte oder bedeutend eingeschränkte Weingenuß wieder
gestattet wurde. Die starken Weine aus den guten Jahren kamen nur bei den Reichen
und auch bei diesen nur bei besonderen Gelegenheiten auf den Tisch. Sie galten
für gefährlich und wurden deshalb nicht als gewöhnlicher Haustrunk zugelassen.
Der Bauer, der sich im Wirtshaus einen Schoppen Wein (4 Deziliter) zu acht bis
zehn Kreuzern bestellte, galt für einen Verschwender, sein leibliches und wirtschaftliches
Verderben wurde sicher prophezeit, auch der reiche Bauer sollte den Schoppen
zu 6 Kreuzern trinken und der kleine Mann sich mit Batzenwein, d. h. den Schoppen
zu 4 Kreuzern, begnügen.

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