Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,eg
Markgräfler Jahrbuch
3.1954
Seite: 106
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Spaß und wußte, daß man sich auf ein solches Wort verlassen konnte, und daß der,
der es sagte, zum Arzt berufen war, wie selten einer. — Dies und jenes Dämchen
freilich, das sich vom „gemeinen Volk" durch angelernte und eingeübte Redensarten
zu distanzieren suchte, rümpfte ob solcher Derbheit das gebildete Näslein:
„Ein unmöglicher Mensch"! — Das war nun allerdings ein starker Tobak, wie er
das alte Kätherli nach ihrem schweren Sturz begrüßte: „Wie chasch du alti Chueh
noch di Bei breche!". — Das Kätherli mußte hellauf lachen in ihrem Bett, trotz
ihrer Schmerzen. Sie kannte seine Schwänke und konnte von dem Mann, der ihr
bestimmt wieder auf die Beine half, auch einen starken Schnaps vertragen, trok-
ken oder destilliert. — Das Anneli aber war ganz verstört, als ihm die gleiche Würde
in der Zoologie verliehen wurde; denn es war erst 17 Jahre alt, also vergleichsweise
erst ein Kalb. —

Hast du, sehr ehrenwerter Leser und tugendsame Leserin, schon einmal ernsthaft
bedacht, wie die ganze menschliche Gesellschaft bis zum Hals in der Lüge
steckt? Wie sie das, was sie wirklich und ehrlich denken und fühlen, einander
größtenteils verschweigen, verschweigen müssen, wenn sie es miteinander aushalten
sollen, diese von Habsucht, Eitelkeit und Wehleidigkeit getriebenen Menschen
? — Hast du es schon erlebt, wie die so wohltuenden feinen Umgangsformen,
gebildetes Benehmen, von Eitelkeit, Geltungssucht und Vorteilhascherei mißbraucht
, zum hohlen Schein werden, zum verlogenen und albernen Getue, das dir
peinlich auf die Nerven geht, wenn du kein Dickhäuter bist? — Unser Doktor
hatte dafür sehr empfindliche und kitzlige Nerven und eine fast überhelle Einsicht
in die wahre Menschennatur mit all ihren offenbaren und verborgenen Bresten.
Solche Menschen kapseln ihre empfindsame und verletzliche Seele oft in eine rauhe
Schale ein, kehren Stacheln nach außen und spielen ihren schmerzlichen Ingrimm
gegen alle falsche Höflichkeit aus mit trotzigen, polternden Trümpfen. — So derb
und patzig manches aus ihm herausbrach, so fand er auch wieder, wo es am Platze
war, an einem Krankenlager etwa, Hie. feinsten und zartesten Worte. — Disputieite
und philosophierte er nicht gern mit dem Herrn Pfarrer und anderen belesenen
Männern über die delikatesten Fragen, über die tiefsten und letzten Dinge? War
er nicht Doktor zweier Fakultäten, Dr. phil et med.? — War er nicht auch ein
Bücherwurm mit der größten und vielseitigsten Bibliothek weit herum?

Der Gusti konnte nicht wissen, daß auch die andern Jünger Äskulaps von dem
Gelehrtenkopf des Kollegen Debus eine große Meinung hatten. Der Gusti mußte
erst eine Reise unternehmen, um das zu erfahren. Er hatte ein hartnäckiges Reißen
im Bein, und je länger es dauerte, desto mehr schwand sein Glaube an die einheimischen
Propheten. Da fuhr er mit seinem Reißmattheis in die Schweiz hinein zu
einem Wunderdoktor, von dem man allerlei Mirakel erzählte. Als der Gusti endlich
in der Schweiz im Sprechzimmer vor der großen Berühmtheit stand, sagte diese
: „So, so, vo däne chunnsch, Gusti, vo Brombach im Wiesetal? Isch dort
nit e Dokter, wo Debus heißt?" — „Jo, jo"r beeilte sich der Gusti, „vo dem chumm
igrad!" — „No chasch gli wieder umchere", ließ sich der Wunderdoktor vernehmen
, „wenn dr der nit cha helfe, no bruch i au nit az'fange. I cheene nur z'guet;
hemmer doch in Tübinge mitenander studiert. Mir anderi hen müeße büffle un
chrampfe; ihm hets der Herrgott im Schlof geh"! — Niemand sonst weiß, was für
ein Gesicht der Gusti bei diesen Worten gemacht hat; wenn er aber auf seiner
Reise gelernt hat, daß das Heil nicht immer weit her sein muß, so hat er sein

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