Freiburger historische Bestände - digital

Das andere Dorf

Neben jedem Dorfe liegt ein zweites,
Nicht so luftiges geländeweites;
Seine kleinen Häuser liegen eng,
Seine Gassen laufen winkelstreng.

Die Bewohner in den nahen Wänden
Könnten sich berühren mit den Händen,
Aber keiner hat zum Greifen Lust,
Jedem ist es wohl in seinem Dust.

Unter grasig überdeckten Dächern
Wohnen sie in kommlichen Gemächern.
Alle schränken sich bescheiden ein,
Jedem einzelnen genügt ein Schrein.

„Nach dem Friedhof" steht auf einem Weiser
Welke Blumen und verdorrte Reiser
Liegen auf dem Schutt am Weg davor —
Aber innen duften Blust und Flor.

Jeder bleibt in diesem Dorf auf immer,
Keinem geht es besser, keinem schlimmer,
Alle sind im tiefsten Grunde gleich,
Alle elend und unendlich reich.

Wilde Kämpfer, Händelsucher, Hasser
Wurden lammsgeduldige Gehenlasser.
Wer im Leutemund als Feiger galt,
Hat hier wie der Tapferste Gewalt.

Wer zu diesem Dorfe heimgefunden,
Ist den Nachbarn bäuerlich verbunden;
Wer in diesem Bann einmal zu Haus,
Zieht in tausend Jahren nicht mehr aus.

Keiner streitet um die Scheidesteine,
Jedem wird hier unbedingt das Seine;
Keinen zog man jemals vor Gericht,
Weil hier keiner die Gesetze bricht.

Eine Mauer geht um die Gemeinde
Ohne Not; sie hat ja keine Feinde,
Freunde wenige. Mit Recht und Fug
Ist hier jedermann sich selbst genug.

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