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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1954-02/0015
einen geistigen Mittelpunkt zu schaffen. Kaum war der Gedanke in die Öffentlichkeit
gebracht, so war auch schon die rasche Ausführung dringend geboten.
Denn die Franzosen säumten nicht, in dem ihnen verbliebenen Teile Lothringens
die Universität von Nancy auszubauen, um die jungen Elsässer herüber-
zulocken und von außen her die französische Kulturpropaganda auf das deutsche
Land zu eröffnen. So wurde Roggenbach mit der Einrichtung der Straßburger
Universität betraut; er wurde der Schöpfer der deutschen Universität im Elsaß,
die völlig neu aufgebaut und deren Lehrkörper erst berufen werden mußte.
Roggenbach hatte durch seine alten, sorgfältig gepflegten Beziehungen im
Kreise des liberalen Gelehrtentums rasch Erfolg, und er hat die Universität zu
einer der ersten in Deutschland gemacht.

Bei der ersten Reichstagswahl in Süddeutschland, im März 1871, wurde
Roggenbach in dem Wahlkreis Müllheim-Lörrach gewählt. Bald gründete er
mit Fürst Chlodwig Hohenlohe und anderen die liberale Reichspartei, die
nicht durch die Zahl, sondern durch die enge Geschlossenheit und die staatsmännische
Auffassung ihrer Mitglieder Bedeutung gewann. Dem in Preußen
sich entspinnenden Kulturkampf folgte Roggenbach mit gespannter Aufmerksamkeit
. Er machte aus seinen Überzeugungen Bismarck gegenüber kein Hehl,
daß dieser den Bogen überspannt habe. Er warnte vor der Verschärfung der
Gegensätze, zumal da die Kirche dem Staate gar nicht so gefährlich sei, wie
es scheine. Aber seine Warnungen waren vergebens; die Maigesetze des Jahres
1873 gegen die Kirche wurden trotzdem erlassen. Manche seiner Zeitgenossen
haben um das Jahr 1870 Roggenbach für einen Verehrer Bismarcks gehalten.
Wir wissen aber, daß selbst im Jahr 1866 hiervon nicht die Rede sein konnte.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes mit ihren auf die Machtvollkommenheit
des Kanzlers zugeschnittenen Bestimmungen hatte ihm dann ebensowenig
gefallen wie jetzt der Kulturkampf. Vor allem aber bedauerte er, daß
der Kanzler nach der Herstellung der Reichseinheit seine Aufgabe nicht in
der inneren Kräftigung des deutschen Volkes sah, sondern ohne festen Plan
bald diesen, bald jenen Gedanken — Grillen nannte es Roggenbach — verfolgte
und voll Herrschsucht und Leidenschaft mit allen Mitteln durchzusetzen suchte,
mochten diese Mittel auch das Volk sittlich und geistig verwirren und Zersetzung
statt Einigung im Innern herbeiführen. Immer wieder klagte er
darüber, daß dem deutschen Volke unter Bismarcks Herrschaft das klare
Denken, das richtige Fühlen abhanden komme und damit die Grundlage einer
gesunden und freiheitlichen Entwicklung zerstört werde. Mit tiefem Unwillen
bemerkte Roggenbach, wie die Köpfe und Charaktere so Vieler in Lethargie
versanken infolge der „offiziellen Presselüge". Am 18. August 1874 schreibt
er an den Admiral von Stosch, den Vertrauten des späteren Kaisers Friedrich
und Gegner Bismarcks: „So geschickt ist diese Maschinerie der Bearbeitung der
öffentlichen Meinung durch die Presse montiert, daß dem armen Deutschen
schon vier Wochen, bevor die erste Andeutung zu einer neuen Maßregel
erfolgt, die Stimmung dafür in Artikeln aus Yokohama, London und New
York bereitet wird, und daß ihm dieselbe als etwas ganz besonders Zeitgemäßes
hingestellt wird, wonach er selbst und alle gebildete Welt verlangen und
dürsten müssen. Dann verfehlt mein guter Deutscher nicht, regelmäßig aufzusitzen
, sich ganz erbärmlich zu freuen, auch wenn es sich darum handelt,
ihm einen Strick um den Hals zu legen und alle Grundsätze eines geordneten,
recht- und gesetzmäßigen Staatszustandes zu erschüttern. Bringt er aber nicht
hinlängliches Entrainement in die Freude mit, so stellt der Pressebengel sich
ein und erzählt wieder aus irgendwoher, es herrsche unbändiger Jubel bei den
Gerechten und im ganzen Reiche, daß der schöne Strick so genial und reichs-

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