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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1954-02/0016
kanzlerisch gedreht sei. Da greift mein guter Deutscher dann ganz ernstlich
an seinen Kopf und findet sich erschrecklich dumm und zurückgeblieben, daß
er sich nicht gleich von Anfang an so schrecklich glücklich gefühlt, und schlägt
an seine Brust und verspricht, es künftig besser zu machen und gewiß nicht
aus der Anbetung unseres großen Kanzlers herauszufallen, wenn auch die
Tollheit noch viel toller geraten sollte." — Gefährlich erschien Roggenbach
die übermäßige Förderung der materiellen Interessen durch die wirtschaftliche
Gesetzgebung. Am 1. Februar 1881 schrieb er: „Alle die sonderbaren Einfälle,
die dem Reichskanzler in schlaflosen Nächten als Heilmittel des wirtschaftlichen
Elends durch den Schädel ziehen, mögen einmal Einzelne bereichern, im ganzen
erschüttern sie fort und fort die Grundbedingungen eines gesicherten Erwerbs."
Launenhaft fand Roggenbach oft die von Bismarck herbeigeführten Ministerwechsel
, und er konnte es nur als Charakterschwäche der übrigen Minister
deuten, daß sie in solchen Fällen die Sache des Kollegen nicht zur eigenen
machten.

Aus den 70er Jahren stammen mehrere Denkschriften Roggenbachs zu
politischen Fragen, die neuerdings Walther Fuchs veröffentlicht hat, und die
uns Einblick gewähren in die innersten Gefühle dieses begabten Staatsmannes,
der so früh aus dem öffentlichen Leben ausgeschieden war und nicht mehr
zum Einsatz gelangen sollte. Das in diesen Denkschriften so oft bemühte
Streben nach Objektivität kann nicht über die Unruhe hinwegtäuschen, mit
der er auf seinen neuen Einsatz im Orchester der Handelnden gewartet hat.
Die ungewöhnliche Verzögerung des Regierungsantritts und das schnelle, tragische
Ende des Kaisers Friedrich, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt
hatte, beraubten ihn wie viele seiner politischen Freude jeder Möglichkeit,
eine politische Rolle zu spielen. In den letzten Monaten seiner furchtbaren
Krankheit wünschte der Kronprinz, der nach dem Tode des alten Kaisers
Wilhelm auf 99 Tage den Thron des Reiches und Preußens bestieg, seinen
treuen Freund Roggenbach stets um sich zu sehen. Dieser verließ sein Schloß
in Ehnerfahrnau, begleitete den Kranken nach San Remo und beriet ihn bei
allen seinen Regierungshandlungen. Wie furchtbar für Roggenbach und seine
politischen Freunde die Erkenntnis sein mußte, daß die Erkrankung des Fürsten
zu dessen baldigem Tode führen müsse, erkennen wir aus seiner Äußerung
vom November 1887, da er gestand: „Wir alle sind in diesen Tagen um Jahre
älter geworden!" Auch der junge Kaiser Wilhem II. brauchte Roggenbachs
Rat nicht mehr. So ist diesem das Leben über dem Warten zerronnen. Mit
den Jahren wurde er bitter; er resignierte; sein Blick für die negativen Seiten
der eigenen Gegenwart bildete sich in besonderer Weise aus; die Zukunft
erschien ihm zumeist in düsteren Farben. Bismarck war der Mittelpunkt, um
den wie in einem magischen Ring seine Gedanken kreisten und zu dem sie
immer wieder zurückkehrten. Nur sehr selten hat er ein Wort der Zustimmung
über ihn ausgesprochen; nie galt es der Person. Bismarck war ihm der
böse Geist der deutschen Politik geworden; vor seiner Leidenschaftlichkeit,
Herrschsucht und Unabhängigkeit zu warnen, wurde er nicht müde. Es ist
nicht zu leugnen, daß wir heute für solche Töne hellhöriger geworden sind.
Selbst wo persönliche Abneigung, ja Haß aus ihnen herausklingt, sind solche
Stimmen unüberhörbar geworden. Nur sollte nicht übersehen werden, daß
Roggenbachs Glaube an die absolute Gültigkeit der liberalen Maßstäbe und
an ihre Übereinstimmung mit allen Kulturwerten schlechthin etwas anderes
ist als Bismarcks konservatives monarchisches Denken vom Staate her! Auch
Roggenbach ist es nie in den Sinn gekommen, die Voraussetzungen seines
eigenen Denkens zu überprüfen, sich selbst der Kritik zu stellen.

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