http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1961-01/0152
wieder in würdigem Zustande sich darbietenden Gottesackers gibt uns Kunde von
den Namen der Geschlechter, die in Müllheim ansässig waren: den Günzburger,
Mayer (auch Meyer und Meier geschrieben), Zivi, Heim, Sommer, Rieser, Schwab
usw. Auf einem Grabstein lesen wir den ewig gültigen Spruch: „Sein Leben war
Mühe und Arbeit", auf einem andern „Oh welch eine Krone ist von unserem Haupte
gefallen. In Trauer ist unser Jubel verwandelt." Wir denken an den russischen
Dichter Tschechow, der Heilung von seinem Leiden in Badenweiler suchte und dort
starb, wenn wir uns die Inschrift eines Steines vor Augen führen, die besagt: „Hier
ruht in Frieden Sophie Zettlin von Novo-Sybkow, gestorben in der Fremde in
Badenweiler am 22. Juli 1906." Die letzte Beerdigung auf dem jüdischen
Friedhof fand im Jahre 1938 statt.
Wie in andern kleineren und größeren Städten haben sich die Juden infolge der
erfolgten gänzlichen bürgerlichen Gleichstellung im Jahr
1862 - ein Werk des den Juden wohlgesinnten Herrschers
Großherzog Friedrich I.- stark vermehrt. Folgende statistische Zahlen
mögen dies belegen (freundliche Mitteilung des Statistischen Landesamtes Baden-
Württemberg, Stuttgart):
Ortsanwesende davon
Bevölkerung evangelische katholische Israeliten Sonstige
1825
897
661
29
207
1852
1242
750
110
382
1855
1161
699
94
368
1858
1215
715
114
386
1861
1247
736
110
401
1864
1296
745
135
416
1867
1284
790
111
383
1871
1258
792
117
349
1875
1267
847
107
313
1880
1207
789
122
296
1885
1152
766
125
261
1890
1125
757
115
253
1895
1111
743
160
208
1900
1129
759
178
191
1
1905
1121
749
212
159
1
1910
1081
708
234
136
3
1925
1070
694
254
120
2
Zu erwähnen wäre noch die ausgedehnte caritative Tätigkeit
der Israeliten in Müllheim, die auch in andern Orten Badens ihren
Ausdruck fand. Seit Jahrhunderten bestanden in allen israelitischen Gemeinden des
Landes Kranken- und Frauenvereine, Beerdigungsbrüderschaften, Anstalten für körperlich
und geistig Gebrechliche, Altersheime etc. Die jüdische Gemeinde von Müllheim
war im Besitze von mindestens zwölf Stiftungen: Aussteuer-Stiftung
für arme Mädchen, Holzstiftung zur unentgeltlichen Abgabe von Brennmaterial an
Bedürftige, Schulgeldstiftung für arme Kinder, alles Zeugnisse des wohltätigen
Sinnes der Müllheimer Judenschaft, die sparsam lebte und Trost in ihrem Leben,
das wie jedes menschliche Dasein in Leid und Freud getaucht war, in ihrer Religion
fand.
Das gesellige Leben der Juden spielte sich in drei Vereinen ab. 1860 wurde der
israelitische Leseverein unter dem Vorsitz des Lehrers Flegenheimer
gegründet, 1861 unter demselben Namen ein Verein zur Aufbringung der Kosten,
150
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1961-01/0152