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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
23.1961, Heft 1, Müllheim Baden.1961
Seite: 198
(PDF, 52 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1961-01/0200
Der Beitrag eines Müllheimer Arztes zur Erforschung

der Tuberkulose

Von Karl Böhler

Daß wir im Weilertal eine medizinische Tradition verfolgen können, beruht auf
der Anziehungskraft, die der Kurort Badenweiler nicht nur auf zahllose Kranke und
Erholungsuchende, sondern auch auf hervorragende Ärzte ausübte. Noch in frischer
Erinnerung ist uns die Ehrung, die Professor Albert Fraenkel, der 1906
die intravenöse Strophanthin-Therapie einführte, posthum zuteil wurde; die Gedächtnistafel
an seinem früheren Wohnhause (Friedrichstraße 7) soll das Andenken
an sein "Wirken in Badenweiler auch in künftigen Tagen wachhalten. - Ferner sei
hier der Arzt und Historiker Dr. Gustav Wever genannt, der im letzten
Jahrhundert eine überragende Rolle für die lokale Forschung spielte; auf seine
medizinische Bedeutung für Badenweiler während fast fünf Jahrzehnten werden
wir noch zurückkommen.

Neben dem weitbekannten Kurort spielt aber; medizingeschichtlich gesehen, die
Amtsstadt Müllheim ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle, denn von hier
aus veröffentlichte der Bezirksarzt Dr. Hubert Reich 1878 seine grundlegende
Publikation „Die Tuberculose, eine Infectionskrankheit",
wobei er sich, im Gegensatz zu den Vertretern der damaligen Lehrmeinung, auf
Beweismaterial stützen konnte, das ihm seine Landpraxis geliefert hatte.

Die medizinischen Befunde, die Reich in der „Berliner Klinischen Wochenschrift
" veröffentlichte, sind, kurz zusammengefaßt, folgende:

Für Neuenburg, damals eine Ortschaft mit etwa 1300 Einwohnern, ließ
sich für die Jahre 1866-74 eine normale Sterblichkeit zwischen 2-3 Prozent errechnen
; ein Siebtel bis ein Achtel der Todesfälle waren dabei auf Tuberkulose zurückzuführen
. Diese Zahlen entsprachen dem Durchschnitt des übrigen Bezirksamts. In
der Beobachtungszeit vom Juli 1875 bis September 1876 starben nun aus zunächst
unerklärlichen Gründen zehn Säuglinge gesunder Familien an tuberkulöser Meningitis
(Hirnhautentzündung).

Reich, dessen Beobachtungen durch seinen Neuenburger Kollegen Dr. H a -
n e s s bestätigt wurden, fiel auf, daß in allen zehn Fällen dieselbe Hebamme bei
der Geburt anwesend war. Weiterhin erschien verdächtig, daß sie zur Anregung der
Atmung den Neugeborenen den Schleim aus dem Munde abzusaugen und Atemluft
einzublasen pflegte."") Als Arzt vermutete Reich einen Zusammenhang zwischen
der Säuglingssterblichkeit und der ihm bekannten tuberkulösen Erkrankung der
Hebamme. Er ordnete die ihm zur Verfügung stehenden Krankengeschichten zeitlich
ein und erhielt folgende Übersicht: Im Winter 1874/75 trat bei der Hebamme
ein Brustleiden auf, das bei der ärztlichen Untersuchung im Juli 1875 eindeutig als
Lungentuberkulose (Kavernen im rechten Lungenflügel) diagnostiziert wurde; die
Krankheit führte am 23. Juli 1876 zum Tode. Während dieser Zeitspanne, und
zwar vom April 1875 bis zum Mai 1876, kam die Kranke mit zehn Neugeborenen
in Berührung, die zwischen Juli 1875 und September 1876 alle an Tuberkulose
starben.

*) An sich erscheint uns heutzutage diese Methode als recht unappetitlich, doch beruht sie
auf einer Instinkthandlung, die auch bei Menschenaffen beobachtet wurde. Ein solches Vorgehen
bei nicht von selbst atmenden Neugeborenen ist aber ebenso zweckmäßig wie uralt
und kann lebensrettend sein; man findet es auch schon im Alten Testament (2. Könige 4,34)
erwähnt und empfiehlt es neuerdings wieder (z. B. Dr. H. J. Wes p i an der Herbstversammlung
der Gynäkologischen Gesellschaft der deutschen Schweiz in Basel, 22. 11. 1959),
allerdings in einer abgewandelten, die Hygiene wahrenden Form.

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