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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
23.1961, Heft 1, Müllheim Baden.1961
Seite: 259
(PDF, 52 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1961-01/0261
Jugenderinnerungen eines Müllheimers

Auch ein Beitrag zu den Festtagen der 1200jährigen Jubilarin

Von Fritz Fischer

„Um zwei Uhr einer schönen Junimondnacht ging ein Kater längs des Dachfirstes
und schaute in den Mond. Das eine seiner Augen, von dem Strahle des
Nachtgestirnes schräg getroffen, erglänzte wie ein grüner Irrwisch, das andere
war schwarz wie Küchenpech, und so glotzte er zuletzt, am Ende der Dachkante
ankommend, bei einem Fenster hinein — und ich heraus. Die großen freundlichen
Räder seiner Augen auf mich heftend, schien er befremdlich fragen zu
wollen: „Was ist denn das, du lieber alter Spiel- und Stubengenosse, daß Du
heute in die späte Nacht Dein Gesicht zum Fenster hinaushältst, das sonst immer
rot und gesund auf dem weißen Kissen lag und ruhig schlummerte, wenn ich
bei meinen Nachtgängen gelegentlich vorbeikam und hineinschaute?"

„Ei, Trauter", erwiderte ich ihm auf die stumme Frage, „die Zeiten haben
sich nun einmal sehr geändert, das siehst Du ..."

Ja, wirklich, die Zeiten haben sich sehr geändert! Das mußte ich zugeben,
als ich das Buch von Adalbert Stifters „Studien", in dem ich dieses köstliche
Zwiegespräch auf der ersten Seite gerade gelesen hatte, beiseite legte und wieder
vor meinem blanken weißen Bogen Papier saß. Du solltest doch noch etwas
zum Jubiläumsfest deiner Heimatstadt schreiben, hämmerte es bald leise, bald
laut in mir. Gleich einem Schatten hob sich die Kontur des Blauen vom bestirnten
Himmel ab. Keine Straßenlampe brannte mehr, weil die Stadt sparen muß
und haben möchte, daß ihre Bürger des nachts schlafen, damit sie anderntags
wieder frisch ans Werk gehen können. Und während ich über die dunklen
Dächer schaute, von welchen nur da und dort eine Lücke im Mondlicht glänzte,
erstand mit einemmal in der Erinnerung das Müllheim meiner Jugendzeit; wie
ein schöner Traum, den man nie vergißt, stand alles lebendig vor mir, zeitlich
und gegenständlich bunt durcheinander.

Rrrr . . . rrr! Das ist kein Trommelwirbel und nicht der Wecker, der alle
Morgen rappelt. Das sind die Töne der Trillerpfeife des Bähnle-Schaffners. Dann
ein Pfiff, und andauerndes Läuten und Keuchen. So schnauft das Bähnle auf
seiner Fahrt vom Bahnhof nach dem weltberühmten Bad den Rank am Turn-
hälleli hinauf. Was so ein Dampfroß damals für ein Bubenherz bedeutete, das
war mindestens so viel wie heutzutage ein Auto oder Flugzeug. Die Begeisterung
zum Bähnle muß bei mir schon so früh angefangen haben, daß ich's selber gar
nicht mehr und nur noch vom Erzählen meiner Mutter her weiß. Doch sei ich
ein ständiger Fahrgast auf der Strecke Müllheim—Niederweiler gewesen in Begleitung
der Großmutter, die dem Büebli eine Freude machen wollte, weil es
das „Zugelifahre" so gern hatte.

Jahre später saß ich in der Realschule, an deren Stelle steht heute das Geschäfts
- und Wohnhaus Ecke Werder-Lindenstraße; unser Klassenzimmer war im
zweiten Stock. Da hieß es schleunigst die Fenster schließen, wenn das „Läutewerk
der Lokomotive ertönte und ein Zug sich näherte", denn bei dem Fauchen,
Pfeifen und Bimmeln der Lokomotive war kein Wort mehr zu verstehen, und
dicke Rauchwolken drangen zu allen Löchern herein.

Kurz vor dem ersten Weltkrieg, ich glaube es war im Frühjahr 1914, wurde
das Dampfbähnle von seinem Keuchen und Schinden erlöst und durch eine elektrische
Bahn ersetzt, bis im Jahre 1955 auch ihre Zeit vorbei war, die Schienen
verschwanden und Omnibusse den Dienst übernahmen.

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