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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1968-01/0010
Trotz aller Widerwärtigkeiten gedieh das Siedlungswerk in den nächsten Jahrzehnten
doch so, daß ein zeitgenössisches Urteil aus dem Jahre 1807 feststellen
konnte, die Kolonisten hätten einen ansehnlichen Wohlstand erreicht. Groß war
die Zahl der Tochter-Siedlungen weit ins Gebiet östlich der Wolga hinein. So entstand
unter vielen anderen Dörfern 1858 auch ein Dorf Neubeideck im Kanton
Krasny-Kut, das 1912 eine Einwohnerzahl von 972 aufwies, 1926 noch 517.
Beideck selbst hatte im Gründungsjahr 1764 eine Einwohnerzahl von 360, 1912
eine solche von 7054, 1926 noch 3911 Einwohner.

Neben vielfacher Anerkennung der Leistungen dieser deutschen Kolonisten von
Seiten der russischen Regierung erwuchs aus Argwohn, Neid und Mißtrauen allmählich
auch ein gewisser Deutschenhaß. Vom Jahre 1874 an setzte eine Wanderbewegung
nach Nord- und Südamerika ein, 1882 auch nach Sibirien und Mittelasien
, wohin die Abneigung gegen die Deutschen noch nicht vorgedrungen war.
Im Zuge dieser Ausweichbewegung gegen die russischen Störmanöver ist auch die
eingangs genannte Auswanderung des Heinrich Beideck aus dem Wolgagebiet nach
Nebraska/USA zu sehen.

Der Vollständigkeit halber sei noch kurz das Schicksal der Wolgadeutschen in
den Jahren 1914 bis heute erwähnt, die in Rußland geblieben waren. Die Mobilisierung
des russischen Heeres im August 1914 erfaßte — wie alle Deutschen in
Rußland — auch die Siedler an der Wolga. Setzte man sie zuerst an der Westfront
ein, so erfolgte später ihre Verwendung in der Bestürmung der uneinnehmbaren
türkischen Festung Erzerum bzw. in schwersten und gefährlichen Arbeiten
im Kaukasus, wo sie der Hungertyphus dahinraffte, während die Angehörigen
der Frontkämpfer in den Dörfern an der Wolga harten Verfolgungen ausgesetzt
waren.

Nach planmäßiger Aufhetzung des russischen Volkes gegen die Deutschen war
1915 die Zeit reif für die sogenannten „Liquidationsgesetze". Da der Verwaltungsapparat
Rußlands jedoch verhältnismäßig schwerfällig war, wurde die Durchführung
der Gesetze durch die Revolution von 1917 vereitelt. Nachdem die provisorische
Regierung unter Kerenski die Gleichberechtigung aller Völker nach einem
anfänglichen „Mißverständnis" auch auf die Deutschen ausgedehnt hatte, konnten
diese aufatmen. Aber nur kurze Zeit dauerte die Hoffnung. Die „proletarische
Revolution" von Lenin und Trotzki brachte die Kämpfe zwischen den Weißen
und den Roten. Dazu kam die Mißernte des Jahres 1921. Im Wolgagebiet sollen
nach authentischen Unterlagen über 166 000 Deutsche verhungert sein (vgl. die
Einwohnerzahlen von Beideck und Neubeideck für die Jahre 1912 und 1926).
Frisches Leben brachte die „Neue ökonomische Politik" (NEP), zu der sich Lenin
nach vielen Fehlschlägen gezwungen sah. Aber 1924 starb Lenin, und nach inneren
Kämpfen um die Parteiführung erreichte Stalin die Macht. In sein Regime fällt
die härteste Zeit der Rußlanddeutschen. Die angeblich auf freiwilliger Basis durchgeführte
Kollektivierung ließ alle ehemals wohlhabenden Bauern in den weiten
russischen Gebieten verschwinden. Eine politisch ausgerichtete Verhaftungswelle
brachte in den Jahren 1936/1938 die Vernichtung der Intelligenz. Im zweiten
Weltkrieg schließlich erfolgte die Zwangsevakuierung aller noch im Wolgagebiet
lebenden Deutschen. Das Dekret vom 28. 8. 1941 lautete: „Entsprechend glaubwürdiger
Nachrichten der Militärbehörden befinden sich in den Wolgagebieten
unter der dortigen deutschen Bevölkerung Tausende von Diversanten und Spionen,
die auf ein von Deutschland zu gebendes Signal Sabotageakte in den von den
Wolgadeutschen besiedelten Gebieten auszuführen haben. . . Um unerwünschte
Ereignisse zu vermeiden und Blutvergießen zu verhindern, hat das Präsidium des
Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befunden, die gesamte deutsche
Bevölkerung der Wolgagebiete in andere Gebiete umzusiedeln."

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