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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
39.1977, Heft 1/2.1977
Seite: 153
(PDF, 42 MB)
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ten" Hebels hatte angedeihen lassen, hätte Hebel lieber von Voß geschrieben gesehen
. Und gelesen hat Hebel lieber Jean Paul als Goethe. Hebel hat Goethe
nicht gebraucht, sagt Rehm mit Recht und setzt erläuternd hinzu: „Er hätte
wohl nichts von ihm erhalten können, was er nicht selbst bereits in sich trug: das
echte, lautere Dichtertum". Goethe freilich bedurfte Hebels „noch weniger". „Aber
weil er als der unbestreitbar Universalere auch den größeren Überblick besaß —,
weil er zudem bewußt in jenen Jahren am Aufbau eines deutschen Literaturkörpers
arbeitete . . ., lenkte er von Weimar aus den Blick der deutschen Allgemeinheit" auf
Hebels „Alemannische Gedichte", deren „provinzielles Gewand" wahrscheinlich
die wünschenswerte Beachtung verhindert hätte. „Ohne Goethes werbendes Wort"
— so fährt Rehm fort — „wären die Gedichte Hebels nicht so rasch über die
Grenzen des . . . badischen Landes gedrungen und unverlierbarer Besitz aller
Deutschen geworden." Andererseits aber habe auch Goethe von Hebel etwas
empfangen: Rehm meint, es habe das, was Goethe in Hebels Schriften fand, auch
mitgeholfen, ihm die Richtigkeit des Heraustretens aus der eigenen „klassisch umgrenzten
Haltung" zu bestätigen. Denn auch für das provinzielle Gewand der
„Alemannischen Gedichte" gilt Goethes Wort: „Das lebhafte poetische Anschauen
eines beschränkten Zustandes erhebt ein Einzelnes zum zwar begrenzten, doch unumschränkten
All, sodaß wir im kleinen Räume die ganze Welt zu sehen glauben."
Was Goethe in Hebels „Raum und Welt" Verwandtes fand, umschreibt Rehm so:
„Es war ein dem Antiken und dem Biblischen, den beiden abendländischen Ursprungsmächten
verwandter, ein klassischer, ein provinzieller Kreis, der sich dem
größeren, auch dem goetheschen, wie von selbst zuordnete und gleich diesem
konzentrisch um dieselbe Mitte schwang". Es war die „zyklische Lebenstotalität"
wie auch das „Episch-Homerische", was Goethe in der alemannischen „Dichtungswelt
" Hebels wiedergeboren fand. Auch die Wiederaufnahme des Hexameters, die
Gabe der Personifikation und nicht zuletzt der bei Hebel in dichterischer Spannung
zum Christlichen stehende Polytheismus sind Elemente, in denen Goethe
sowohl die Antike wie seine eigene Anschauung bei Hebel wiedererkannte.

Verglich Rehm dichterisches Werk und Sein Hebels mit dem Goethes, so stellte
Robert Minder in seiner Hebelrede 1963 den alemannischen Dichter jener zeitgenössischen
deutschen und französischen Literatur gegenüber, die tatsächlich oder
dem Anschein nach ähnliche Aspekte und Tendenzen aufweist wie die Hebels.
Knappe, treffende Vergleiche bringen Hebel in Beziehung zu La Fontaine, zu
Gotthelf und Auerbach, zu Balzac und George Sand, zu Alexandre Weill, zu
Erckmann-Chatrian, und schließlich in Beziehung auch zu den chauvinistischen
Ausartungen der Dorfgeschichte, die in Deutschland sich auf Hebel berufend im
Blut-und-Boden-Mythus verquoll, in Frankreich über einen mit Hebel vergleichbaren
lauteren Geist — nämlich Frederic Mistral — im Fanatismus eines Maurrass
und Leon Daudet sich überschlagend endigte. Eine eingehendere Betrachtung widmet
Minder dabei mit Recht dem mit Hebeischen Idealen erfüllten Max Buchon,
von dem noch an anderer Stelle zu reden sein wird.

Mit den Wirkungen Hebels in die französische, süddeutsche und schweizerische
Dorfgeschichtenliteratur zwischen 1836 und 1856 hinein befaßt sich das kenntnisreiche
, fast unerschöpfliche Werk von Rudolf Zellweger, eines Schweizers, eine
These der Pariser Universität mit dem Titel „Les debuts du roman rustique.
Suisse-Allemagne-France. 1836—1856". Zellweger charakterisiert Hebels literaturhistorische
Stellung, indem er ihn in die Nähe von Maler Müller und Voß setzt.
„Eine Dorfgeschichte in Versen" nennt er Hebels „Statthalter von Schopfheim".
Den Rang Hebels für ein bestimmtes Genre arbeitet Zellweger klar heraus mit
den Worten: „Mit ihm (Hebel) nähert sich die Idylle in gewisser Weise wieder
ihren Ursprüngen: den realistischen und naiven Szenen Theokrits . . . Niemand
vor Hebel hatte die ländliche Welt in ihrer Einheit erstehen lassen." Hebel
erscheint als Vorläufer für Auerbach und für alle späteren Dorfgeschichtenverfasser
. Überzeugend und einfühlend zeigt Zellweger auch die Zusammenhänge
zwischen Hebel und jener kleinen französischen Gruppe von Realisten, deren

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