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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
45.1983, Heft 2.1983
Seite: 155
(PDF, 39 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1983-02/0157
Staatsgeschichte und Sprache

von Christian Martin Vortisch

Im Heft 3/4 1976 unserer Zeitschrift, das dem Thema »Mundart und Hochdeutsch«
gewidmet ist, war schon einmal1' von den Schwierigkeiten die Rede, die sich ergeben,
wenn in einem Staatsgebilde die Sprache der Bevölkerungsmehrheit zur »Staatssprache«,
d. h. zu der Sprache erklärt wird, die alle anderen Sprachen zu »dominieren« hat, und
wenn die Minderheitssprachen zu »subordinierten« Sprachen erklärt werden. Was, aus
der Fachsprache der Soziolinguisten auf gut deutsch übersetzt, nichts anderes heißt, als
daß die Mehrheitssprache übergeordnet ist und allgemein gebraucht werden muß, die
Minderheitssprachen, wie auch die Dialekte, aber als untergeordnet und minderwertig
erklärt werden. Daraus können politische Lagen entstehen, wie wir sie heute in Spanien
im Verhältnis zur baskischen Minderheit in erschreckender Deutlichkeit beobachten
müssen. Das Problem ist ernst genug, daß wir als historisch-landeskundliche Zeitschrift,
die sich auch der Kultur und Sprache verpflichtet fühlt, uns noch einmal, aber ausführlicher
, damit beschäftigen.

Anlaß ist die Zeitungsnotiz, die am 8.1.1980 berichtet hat, Paris verweigere die Anerkennung
des Elsässischen als Regionalsprache, weil es sich dabei um eine »niedere Form
einer ausländischen Sprache« handle.

Eine ähnliche Bewertung trifft freilich auch die anderen französischen Minderheitensprachen
, denn die Bretonen müssen, wenn sie ihre Sprache studieren wollen, an der
Universität Rennes, in der alten Hauptstadt der Bretagne, ihre eigene Sprache als
»Fremdsprache« belegen. Eine solche Einstellung zu Sprachproblemen, zumal gegenüber
eigenen Mitbürgern, ist für einen Mitteleuropäer heute nicht mehr verständlich. Sie
aus historischer Sicht verstehbar zu machen, ist der Sinn der folgenden Ausführungen.

Nach allgemeiner Ansicht geht der Anspruch des Französischen, in Frankreich alleinige
Hoch-, Schrift-, Amts- und Verkehrssprache zu sein, auf die Französische Revolution
zurück. Damals ist die Forderung nach der Einheitssprache mit der Notwendigkeit
begründet worden, allen Bürgern die Gleichheit der bürgerlichen und beruflichen Chancen
zu gewährleisten. Mit diesem Vorrang wurde zwar, grob gesagt, die Vernichtung der
französischen Dialekte, der patois, zum Programm erhoben und die Minderheitensprachen
Baskisch, Bretonisch, Katalanisch, das Elsässische und Flämische zu Fremdsprachen
degradiert, an den Schulen diskriminiert, an den Hochschulen nicht mehr gelehrt.
Vor allem waren alle Berufe, die ein akademisches Studium vorausgesetzt haben, nur
noch französischsprachigen Personen zugänglich. Damit sind diese alteuropäischen
Kulturen auf französischem Boden verarmt und Bestandteil drittrangiger »Provinz« ge-
worden2).

Wenn heute für das Verhältnis des offiziellen Frankreich zum Elsässerdialekt von
deutschen Zeitungen in Kommentaren der Ausdruck »Gleichschaltung« gebraucht
wird, so ist dies eine freiwillige Selbstzensur im Sinne amtlicher Beschönigung des Problems
" . Selbstverständlich hat diese Einschätzung des Dialekts oder von Minderheitensprachen
gerade nichts mit »Gleichschaltung« zu tun, sie zielt vielmehr darauf ab, die
Existenz dieser Sprachen überhaupt in Frage zu stellen, d. h. sie zu verdrängen. Denn in
Frankreich ist bis heute »Paris«, und damit die Oberschicht des Landes der Meinung,
daß nur die eigene Hochsprache die Kultursprache des ganzen Landes sei, die »Subspra-
chen« dagegen keine Förderung verdienten. Daß die Vorstellung der Französischen Revolution
von der Aufgabe der Hochsprache als Mittel der Gleichberechtigung eine kläglich
gescheiterte Utopie geblieben ist, kümmert Paris wenig. Denn niemand in Frankreich
kann dies zugeben, zumal die Funktion der französischen Hoch- und Staatssprache
seit dem 13. Jahrhundert ganz anderer An gewesen ist und bis heute immer noch ist: Sie
verkörpert das kulturelle Prestige Frankreichs schlechthin.

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