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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 87
(PDF, 34 MB)
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einbezieht. Seine Wahrnehmung ist gedanklich aufbereitet insofern, als er uns den Charakter
des neuen französischen Nationalbewußtseins der Elsässer als subjektive politische
Willensentscheidung erläutert. So wird man später den Begriff der Staatsnation definieren
. Dennoch dürfen wir annehmen, daß seine Deutung auf vielen unmittelbaren
Eindrücken und Erinnerungen - Gesprächen, Liedern. Festen. Kleidermoden, Umgangsformen
- beruht und daher keine bloße Projektion späterer Erkenntnis darstellt.
- Aber kehren wir zurück zu den Anfängen jenes Umschwungs und damit zu Arthur
Young. der am 20. Juli von Zabern nach Straßburg weiterreiste.

Ich kam daselbst in einem kritischen Augenblicke an. der mir beinahe den Hals gekostet
hätte. Ein Detaschement Reiter mitTrompeten auf der Einen. Infanterie mitTrom-
meln auf der andren Seite, und ein zahlreicher, lärmender Pöbel machten mein Französisches
Pferd scheu, und ich konnte kaum verhindern, daß es nicht einige der Herren
vom dritten Stande zu Boden trat. [...] Der Parisische Revolutionsgeist verbreitet sich
schnell. Er herrscht schon hier. unddieTruppen. die mir beinahe den Hals gekostet hätten
, sind dazu bestimmt, ein wachsames Auge auf das Volk zu haben, welches, nach verschiedenen
Merkmahlen zu urtheilen. einen Aufstand erregen will. Es hat einigen Magistratspersonen
, die nicht beliebt sind, die Fenster eingeworfen; und jetzt ist ein großer
Haufe Pöbel versammelt, und verlangt mit viel Lärm das Pfund Fleisch zu 5 Sous.
Es hat eine Art von Feldgeschrei, das ihn zu argen Dingen verleiten wird: Point d'impöt
et vive les etats!*

Auch Young teilt nicht nur einfach Beobachtungen mit. sondern sucht hinter den Ereignissen
die treibenden Kräfte. Am folgendenTage diskutiert er im "cabinet litteraire"
mit verständigen Gesprächspartnern die Gründe der Revolution.

Durch den Brotpreis ist das Volk allenthalben zu jeder Art von Gewaltthätigkeiten
vorbereitet. [...] Man glaubt, der Hunger werde das Volk antreiben zu revoltiren: und
findet es dann einmal irgend ein Mittel sich auf andre Art als durch anständige Arbeiten
zu ernähren, so hat man alles zu fürchten. So wichtig ist es für Frankreich, und in der
That für jedes Land, eine gute Korn-Polizey** zu haben! eine Polizey. die dem Landmann
einen hohen Preis sichert und dadurch dem Getreidebau hinlänglich Aufmunterung
giebt. um zugleich das Volk vor Hungersnoth zu schützen.

Das ist eine klare Erkenntnis des Anlasses der Unruhen und ihrer möglichen Folgen:
Auslösendes Moment ist die Hungerrevolte: sie treibt die Krise von Staat und Gesellschaft
zum revolutionären Umschlag. Es gehört zu den Schwachstellen des Ancien
Regime in Frankreich, daß man die zentrale Bedeutung einer staatlichen Agarpolitik
noch nicht recht erkannt hat: Die Hungerkrise, diese periodisch wiederkehrende, umfassende
Bedrohung aller wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in der angeblich
"guten alten Zeit", kann daher nicht ausreichend gesteuert werden.

Am Abend desselben 21. Juli w ird Young Zeuge eines Vorfalls, "der für einen Fremden
nur merkwürdig, aber für bedachtsame Franzosen schrecklich war." Als er auf den
Rathausplatz kommt, wirft "der Pöbel" gerade die Fensterscheiben ein. obgleich eine
Kavallerieabteilung dort aufgestellt ist. Da die Volksmenge immer größer und dreister
wird, hält er es "der Mühe werth" zu bleiben, um zu sehen, wie die Sache ausgehen
würde. Auf dem Dach einer Bude gegenüber dem Rathaus richtet er sich ein; hier ist er
selber in Sicherheit und kann doch alles "bequem" übersehen.

Da das Volk merkte, daß dieTruppen es nur mit Worten und Drohungen angriffen, so
ward es immer heftiger: es machte Versuche die Thüren mit eisernen Brechstangen zu

* Keine Steuer, und die Stände sollen leben!
** = Politik

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