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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
51.1989, Heft 2.1989
Seite: 179
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1989-02/0181
Kultur wächst wie ein Baum
Die Dankesrede des Hebel-Plakettenträgers 1989
Jean Dentinger

Zu meinen bevorzugten Dichtem in der Schule gehörte der französische Fabeldichter La
Fontaine. Ich denke zurück an eine seiner Fabeln. Ein Frosch wollte eine Kuh sein, er holte tief
Luft und blies sich voll, bis er fast so groß war wie die Kuh. da platzte er. Der Frosch, so schrieb
ich später, wollte sicher auch die Sprache der Kuh sprechen, das heißt anstatt zu quaken, wollte
er muhen. Offenbar hatte der Frosch seinen Goethe nie gelesen, sonst hätte er aus den Urworten
gewußt: Jeder ist nach einem bestimmten Gesetz angetreten, und nach diesem Gesetz muß
"geprägte Form" sich weiterentwickeln.

Mein Gesetz gab sich mir sehr früh zu erkennen, etwa als ich vor 40 Jahren ahnte, daß meine
Sprache gefährdet war. Mein Gesetz war das Ahnen von Gefährdungen und das Bemühen,
diese Gefährdungen abzuwenden. Das gleiche Gesetz waltete, als ich um 1960 Chemie
studierte und die Gefährdung durch die Chemisierung unserer Umwelt zu fürchten begann, so
daß ich ab 1966 Gedichte und Artikel für die Erhaltung dieser Umwelt verfaßte. Im ersten Fall
war Kultur, im zweiten Natur gefährdet.

Bevor ich näher auf diese Gefährdungen eingehe, möchte ich etwas Erfreuliches vorausschicken
: Das schönste Geschenk, das dem Elsaß in den letzten Jahrzehnten zuteil wurde, ist
die deutsch-französische Freundschaft. Ohne sie wäre unsere Lage viel, sehr viel schwieriger.
Für mich ist diese Freundschaft die natürliche und damit notwendige Fortsetzung der
Geschichte. Als Brudervölker waren sie angetreten, die Gallier des Vercingetorix und die
Sueben oder Altschwaben des Ariovist. Die Franken gaben ihren Namen der Stadt Frankfurt
und dem Staate Frankreich. Brüder waren sie. und vergaßen es während vieler Jahrhunderte.
Brüder sind sie nun wieder im deutsch-französischen Freundschaftsbund.

Aber die Geschichte kennt merkwürdige Ungereimtheiten. Die althergebrachte Sprache des
Elsaß überstand 300 Jahre Spannungen zw ischen den Brüdern, aber nicht 30 Jahre brüderliche
Freundschaft. Hier spielten andere Faktoren mit. Ich möchte noch eine andere Ungereimtheit
der Geschichte erwähnen: Die Könige von Frankreich rüttelten nicht an der sprachlichen
Identität des Elsaß. Die Revolution aber, mit ihren gewiß als große Errungenschaft zu
wertenden Menschenrechten, verbot in ihrem nivellierenden, zentralistischen Wahn das
Tragen der alten Trachten und wollte das Verschwinden der regionalen Sprachen.

Die Menschenrechte sind ewig aktuell. Sie werden wirklich geeignet sein, die Schöpfung in
ihrem vielfältigen, auch kulturellen Reichtum zu erhalten, wenn sie durch die Völkerrechte
vervollständigt sein werden. Man könnte hier als Vorbild die Schweiz nennen, wo in jedem
Sprachgebiet die Erhaltung der althergebrachten Sprache durch das Gesetz garantiert ist.

Das Problem der sprachlichen Identität ist ein Teilaspekt des weltweiten Problems der
kulturellen Identitäten aller Völker. Es gibt hier zwei Möglichkeiten: Entweder die Erhaltung
der Kulturen oder ihr Verschwinden durch Nivellierung. Auch Menschen mit anderer
Weltanschauung sehen diese Gefahr. Gorbatschow schreibt in Perestroika: "Auch über der
europäischen Kultur schwebt eine ernsthaft drohende Gefahr. Diese Bedrohung geht von einer
Massenkultur aus, die über den Atlantik kommt."

Wie auch das politische Spiel weitergeht, in jedem Fall scheint mir wichtig, daß die
öffentlichen Kulturanstalten über diesem Spiel stehen und politisch wie auch ästhetisch nicht
einseitig orientiert, etwa nivellierend seien. Kulturbetrieb ist nur demokratisch, wenn in den
Kulturabteilungen von Fernsehen und Rundfunk alle Wählerschichten ungefähr im gleichen
Verhältnis wie im Parlament vertreten sind.

Ich machte 1966 das "Protestlied" "E Strossburjer Spatz macht Protescht", ein Lied über die
Zerstörung der Umwelt. Ich rückte später vom direkt formulierten Protestlied ein bißchen ab.

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