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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 1.1993
Seite: 177
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-01/0179
Wichtige Persönlichkeiten aus der Wehrer Geschichte - der
"Faktor" Mensch im Wandel der Zeit

Vortrag von Kulturamtsleiter Dr. Reinhard Valenta
anläßlich der Herbsttagung 1992 des
"Geschichtsvereins Markgräflerland" in Wehr

Lassen Sie mich meinen Vortrag mit einer These beginnen, die wie manch andere These
einen Sachverhalt überspitzt, um ihn durch dieses probate Mittel umso deutlicher zu konturieren:
Die nicht nur von vielen Historikern beklagte Geschichtslosigkeit unserer Zeit ist auch eine
Folge ihrer Gesichtslosigkeit.

Was soll diese Aussage, die besonders jene Historiker provozieren könnte, die nach den
sechziger Jahren unsere Universitäten verließen? Haben wir nicht alle den Abgang jener
verstaubten Geschichtswissenschaft unserer Väter begrüßt, die Geschichte nur als den Ausfluß,
das persönliche Werk großer Herrscher. Politiker und Militärs verstanden wissen wollte?
Haben wir nicht alle aufgeatmet, als die traditionelle Geschichtsschreibung von oben durch
jene Geschichtsbetrachtung von unten ergänzt und mitunter sogar ersetzt wurde, durch welche
die in den angelsächsischen Ländern und Frankreich entwickelten strukturalistischen. sozial-
und alltagsgeschichtlichen Methoden Eingang in unsere Disziplin fanden? Wie anders hätte
man auch den Lebensprozessen einer Welt begegnen können, die immer mehr atomisiert und
abstrahiert, anonymisiert und akzeleriert werden, die immer weniger faßbar und im Grunde nur
noch im interdisziplinären Zusammenspiel der Wissenschaften beschreibbar sind? Die Welt
der modernen Medien und Computer bringt sicherlich andere historiographische Methoden
hervor als die Welt eines Barbarossa. Napoleon oder Kaiser Wilhelm.

Und doch werde ich ein Gefühl des Unbehagens nicht los. wenn manche Historiker den
Faktor Mensch wegabstrahieren, ihn in anonyme Verhältnisse und Konglomerate auflösen und
darin das subjektive Moment im Geschichtsprozeß als marginal desavouieren. Trotz der
zunehmenden Unübersichtlichkeit der Lebensprozesse leuchteten doch gerade menschliche
Größe und Geschichtsmächtigkeit an den kritischen Kreuzungspunkten der letzten Jahre wie
strahlende Kometen am jahrtausendealten Himmel der Geschichte unserer Spezies auf.
Sicherlich hat ein Michail Gorbatschow im Kontext bestimmter Verhältnisse und Konstellationen
agiert, die allein mit seinem Willen gegen den Geschichtsprozeß nicht zu bewegen
gewesen wären. Aber ohne seinen Willen wären die letzten Jahre mit Sicherheit anders
verlaufen. Die Geschichte ist ohne den Faktor Mensch, ohne sein Gesicht, und damit meine ich
das Ensemble all dessen, was die menschliche Individualität prägt, nicht denkbar - gleichgültig,
ob es sich um exponierte oder um Menschen wie du und ich handelt. Zur Geschichtsbetrachtung
gehören indes nicht nur die Gesichter, sondern auch die Gesichte der Menschen, ihr Wollen und
Träumen, ihr störrisches Beharren auf Vergeblichem wie ihr oft zerstörerisches Drängen nach
Neuem. Es sind nicht die in Strukturen aufgelösten Verhältnisse allein, die den Abzug des
Gewehrs in der Hand des serbischen oder kroatischen Freischärlers bewegen. Der Mensch trägt
gerade in der heutigen Zeit die Verantwortung für seine Existenz. Deshalb darf er durch die
Anonymität der Strukturen und Verhältnisse wissenschaftlich nicht exkulpiert werden. Es ist
an der Zeit, dem Geschichtsfaktor Mensch wieder tiefer ins Gesicht zu schauen.

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