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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
55.1993, Heft 1.1993
Seite: 182
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-01/0184
Wie man dem Lebensweg des Philipp Merian entnehmen kann, hat das aufstrebende
Bürgertum dem 19. Jahrhundert seine Signatur aufgedrückt. Auch in Wehr hielt der neue Geist
Einzug, dem die alten Eliten weichen mußten. In Politik. Wirtschaft und Kultur nahmen die
Bürger das Steuer in die Hand. Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Wirtschaft.

Um 1860 blieb die Wehrer Eisenproduktion endgültig auf der Strecke. Bereits damals zeigte
sich die Fähigkeit der Wehrer. mit Strukturveränderungen fertig zu werden. So kam es ab den
60er Jahren zur Ansiedlung von Betrieben aus der Textil- und Papierbranche. Eine der
markantesten Persönlichkeiten der Gründerzeit war der Papierfabrikant Carl Lenz, der mit
ungeheuerer Energie und unter unsäglichen Bedingungen einen Betrieb aufbaute, der noch
heute in Familienhand ist.

Der Vater Johann Lenz hatte sein Handwerk im Wiesental erlernt, wo er an einer der ersten
Papiermaschinen Kontinentaleuropas Erfahrungen sammelte. Mit Hilfe seines Chefs machte
sich dieser mutige Mann mit einem aus heutiger Sicht geradezu lächerlichen Darlehen von
umgerechnet 12.000 DM auf den Weg in eine alle Kräfte herausfordernde Zukunft und
eröffnete eine Papierfabrik. Er mußte gegen Äußerlichkeiten ankämpfen, die einem anderen
sofort den Mut geraubt hätten. Der Kanal war verwahrlost, und vor allem fehlte Wehr ein
Schienenanschluß. Aber Lenz gab nicht auf, schuftete im wahrsten Sinne des Wortes bis zum
Umfallen. Als er vom Tod im Jahr 1872 niedergestreckt wurde, hatte der Betrieb eine gewisse
Konsolidierung aufzuweisen, war aber durch den Tod des Chefs existentiell bedroht.

Die Söhne Wilhelm, Carl und Hermann sind noch nicht einmal der Jugend entwachsen, aber
sie machen weiter. So zermürbend ist diese Arbeit, daß Wilhelm schließlich im Jahr 1874
abwinkt und sich eine andere glänzende Karriere aufbaut. Das ist die Stunde des gerade 20 Jahre
jungen Carl Lenz. "Mit der Aufgabe", so lesen wir in seinen Erinnerungen, "war ich nicht
einverstanden. Ich wollte vielmehr die von unserem Vater mit so großer Mühe gegründete
Heimat ausbauen und nicht wieder verkaufen. Von nun an war das Geschäft unter meiner
Direktion." Hier zeigen sich Tugenden, die unserer Zeit, in der nur das schnelle Geld zählt,
abzugehen scheinen: Sparsamkeit, Orientierung auf ein Ziel, Beharrlichkeit und das tiefe
Gefühl, daß wir auch mit den Toten leben und ihre Werke fortsetzen müssen. In der Literatur
fand ich bisher noch keine ähnliche Formulierung, die eine Fabrik so aussagekräftig als
"Heimat" bezeichnet hätte. Als Carl Lenz im Jahr 1932 an seinem Schreibtisch sitzend vom Tod
überrascht wurde, hatte sich sein Mut bezahlt gemacht. Er hatte das Unmögliche geschafft und
sich, seiner Familie und den Mitarbeitern eine "Heimat" geschaffen, die nicht nur Brot zu bieten
hatte. Lenz dachte weit über den Horizont der Rentabilität hinaus. Er war eine Institution des
Wehrer Kulturlebens, Vorsitzender der Lesegesellschaft, des Liederkranzes und noch in
anderen Vereinen aktiv. Persönlichkeiten dieses Schlages, die ihr Erbe auch unter schwierigsten
Bedingungen antraten, um die Kette der Generationen nicht abreißen zu lassen, hat Wehr seinen
Wohlstand zu verdanken.

Solche Unternehmerpersönlichkeiten finden wir auch in der Textilbranche, durch die Wehr
lange Zeit sein industrielles Profil erhielt. Ich möchte unseren Ehrenbürger Albert Rupp
erwähnen, der 1879 in Wehr geboren wurde und dessen Vater die Vorläuferfirma der heutigen
Wehra AG gründete, die uns derzeit solch große Sorgen bereitet. Was würde Albert Rupp wohl
denken, sähe er aus dem Grab heraus jenes Drama, das sich vor unseren Augen abspielt? Rupp
lernte seinen Beruf von der Pike auf und verbrachte seine Praktikantenzeit in der Schweiz und
in England. Er sorgte nicht nur für die avancierteste Technik, sondern auch für fortschrittliche
Sozialeinrichtungen. Es war einmal eine Auszeichnung, bei der Wehra AG arbeiten zu dürfen.
Nur die besten fanden hier eine Lehrstelle. Darüberhinaus war Rupp. der am 2. September 1967
starb, in ähnlicher Weise wie Carl Lenz am öffentlichen Leben seiner Gemeinde beteiligt und
in einer Unzahl von Vereinen tätig. Berührungsängste kannte diese Unternehmergeneration
nicht. Volksverbunden war man und daher vom Volk geachtet - so einfach ging das einmal.

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