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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 27
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1962/0039
„V. Calendas Martii Anno 1635 wurde ich in Knabenweiß von den Hessen gefangen
und nach Cassel geführt", so handelt es sich um ein Ereignis, das dem
„Simplicissimus" nicht entspricht und um so sicherer als eigene Lebenserinnerung
betrachtet werden darf. In Marburger Kriegsakten findet sich der bestätigende
Bericht eines hessischen Oberstleutnants aus Eschwege, wonach er im März dieses
Jahres zehn den Kroaten abgenommene Jungen bei sich hatte, über deren Verfügung
er von Kassel aus Befehl erbittet. Zwei weitere Kalenderanekdoten: „Der
teutsche Bauer" und „Die verkehrte Welt", berichten ebenfalls in der Ichform, daß
der Erzähler im Alter von siebzehn Jahren als „Mußqvetirer oder Tragoner" mit
der Götzschen Armada in der „Schwabenheit" im Winterquartier gelegen habe.
Da es sich nur um den Winter 1638/39 handeln kann, in dem die Götzsche Armee
an der Grenze Württembergs Winterquartiere nahm, ergibt sich, daß Grimmelshausen
selbst 1621 oder 1622 als sein Geburtsjahr ansah. Wenn er den Helden
seines „Simplicissimus" nach der Schlacht bei Höchst (20. Juni 1622) im Spessart
zur Welt kommen läßt, so wird durch die Nachbarschaft der beiden Daten wahrscheinlich
, daß er das Lebensalter in Übereinstimmung brachte.

Die gewonnenen Daten stellen sich in einen geschichtlichen Zusammenhang
durch die grauenvolle Verwüstung Gelnhausens im September 1634, wobei die
Stadt von Kroatenhorden, die zur spanischen Armee gehörten, in einen Aschenhaufen
verwandelt wurde. Die unsäglichen Greuel, die der Roman in einen Bauernhof
des Spessart verlegt, mußte der zwölfjährige Knabe in seiner Vaterstadt mit
ansehen. Ob er selbst bereits damals von den Kroaten verschleppt wurde oder ob
er mit den Seinen in die schwedisch besetzte Festung Hanau flüchtete, bleibt vorerst
ungewiß. Nach Gelnhauser Urkunden muß er einmal in Hanau gewesen sein. Im
Roman wird der Knabe von den vereisten Gräben der Festung durch herumstreifende
Kroaten entführt, und in geschichtlichen Berichten bestätigt sich nicht nur,
daß die Härte des Winters 1634/35 den Gouverneur von Hanau nötigte, die Wallgräben
aufhacken zu lassen, sondern auch, daß der Kroatenoberst Corpus im
Januar 1635 Erkundungsritte in die Umgegend Hanaus unternehmen ließ.

Dreiundeinhalb Jahre fehlen nun noch bis zum Anschluß an die Offenburger
Zeit; sie entsprechen zeitlich ungefähr den drei mittleren Büchern des Romans, die
in Ostelbien, in Westfalen und in Frankreich ihren hauptsächlichen Schauplatz
haben. Die autobiographische Bedeutung des „Simplicissimus" wurde lange Zeit
überschätzt, wozu schon eine Bemerkung in der ersten Gesamtausgabe der Grim-
melshausenschen Schriften (1683/84) Anlaß gab, die den Dichter mit seinem Helden
einfach gleichsetzte. Eine kritische Prüfung des Erlebnisgehaltes muß zunächst nach
der Methode der Subtraktion vorgehen, indem alles das als nicht selbst erlebt auszuscheiden
ist, was sich der Quellenanalyse als überkommenes Motiv ergibt, sei es
als Beeinflussung durch Erzählungsliteratur, sei es als Benutzung historischer Hilfsmittel
. Darunter können die herrlichsten poetischen Partien fallen, wie das Einsiedleridyll
im Spessart und die Narrenverkleidung in Hanau, die an den
„Parzival" Wolframs von Eschenbach erinnern, ebenso die ganze Vorgeschichte der
Eltern, die dem Volksbuch „Herpin" entspricht. Auch drastische Abenteuer, wie
der Speckdiebstahl, die Zwangsehe, die pikanten Erlebnisse des Beau Alman im

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