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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 30
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den inneren Entwicklungsgang und die Bildungsgeschichte einzuzeichnen. Grimmelshausen
ist nicht als bäurischer Wildling aufgewachsen wie sein Romanheld.
Er hat bis 1634 die Schule seiner Vaterstadt besucht. Bis ins dreizehnte Lebensjahr
bestand Gelegenheit, die Anfangsgründe des Latein zu lernen. So gern Grimmelshausen
später lateinische Schriftsteller zitiert, so verdankt er ihre Kenntnis jedoch
keinem unmittelbaren Studium, sondern Übersetzungen und enzyklopädischen
Sammelwerken. Bei dem Wissensprunk lehrhafter Aufzählungen, die er bequemen
Hilfsmitteln entnommen hat, ist oft nicht zu erkennen, ob es ihm ernst darum ist
oder ob er gelehrte Schwerfälligkeit parodieren will. Etwas Selbstironie des Bildungshungrigen
mag immer dabei sein, und um die feierliche Miene des Belehrenden
spielt ein listiges Lächeln. Daß er lebende Fremdsprachen erlernt hat, ist
unwahrscheinlich; er hätte mit solcher Kenntnis in seinen Schriften nicht hinterm
Berge gehalten.

Wahre Grundlage seiner Lebensweisheit ist ein Schatz von Sprichwörtern, den
er in der Soldatensprache und im Umgang mit dem Volke sich erworben hat. Trotz
aller Schulung im Kanzleischwulst, von dem er in hochtrabenden Reden und eingelegten
Briefen gelegentlich Gebrauch macht, ist sein Erzählungsstil gesprochenes
Wort. Ein feines Gehör läßt ihn die Eigentümlichkeiten jeder Standessprache und
aller Mundarten festhalten, sei es die kindliche Schlichtheit des Spessarter und
Wetterauer Bauerndeutsch, sei es das Westfälische oder Schwäbische oder sogar das
Kauderwelsch der Kroaten. Mit spielender Sicherheit vermag er im „Teutschen
Michel" (1673) die sprachlichen Unterschiede der deutschen Stämme nicht nur nach
Klang und Zeitmaß, sondern auch nach der Anwendung der Sprechwerkzeuge
zu charakterisieren.

Was er an Büchern verschlungen hat und worin er sich zu Hause fühlte, das war
zunächst die volkstümliche deutsche Dichtung des 16. Jahrhunderts von Hans Sachs
bis Fischart, die Volksbücher und Schwanksammlungen eingeschlossen. Darin begründet
sich von vornherein seine Überlegenheit über die modisch gezierten, auf
weiten Bildungsreisen geschulten Zeitgenossen des Barock, daß er nicht entwurzelt
war. Er gefiel sich nicht in einem überheblichen Gegensatz gegen das Altfränkische,
sondern hing ihm mit Liebe an.

Der guten alten Zeit entsprach auch seine Augenfreude an der Welt des Diesseits.
Er pflegte sie in einem angeborenen Zeichentalent, das ihm vielleicht den Weg in
die Schreibstube eröffnete und ihn später sogar instand gesetzt haben mag, an den
Illustrationen seiner eigenen Werke teilzunehmen. Er war ein Sinnenmensch von
Ursprünglichkeit der Anschauung ohne die krampfhafte Uberreizung und sinnreich
kalte Metaphorik, mit der der Zeitgeschmack prahlte. Er trug wie Martin Luther
Sang und Klang im Ohr, und wenn die weltliche Abwandlung des Morgenstern-
Chorals, die er den alten Einsiedel anstimmen läßt (Simpl. 1,7), von ihm selbst
stammt, so hatte er die Gabe zum gottbegnadeten Lyriker:

Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall,
Laß deine Stimm' mit Freudenschall
Aufs lieblichste erklingen.
Komm, komm und lob den Schöpfer dein,

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