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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
42. Jahresband.1962
Seite: 35
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Wiederaufnahme des Eingangsmotivs konnte, wie sich im sechsten Buch herausstellt
, kein endgültiger Abschluß sein. Das Einsiedlerleben des Sohnes sieht anders
aus als das des Vaters, der in strenger Bußübung seine eiserne Kette schleppte;
Simplicius wählt seine Eremitage, wie man sie ein Jahrhundert später im empfindsamen
Zeitalter liebte. Es ist keine Schäferei in gestutztem Park nach dem Geschmack
der eigenen Zeit, sondern diese Weltflucht aus Naturliebe sucht sich die
schönste Schwarzwaldhöhe, die gewiß ein Lieblingsplätzchen des Dichters war.
Von dort aus ist der herrliche Blick zu genießen auf Berge und Burgen, Waldtäler
und Rheinebene bis hinüber, da „die Statt Straßburg mit ihrem hohen Münster-
Thurn gleichsam wie das Hertz, mitten mit einem Leib beschlossen, hervor
pranget". Der Einsiedler schärft seine Sinne auch noch mit einem Fernglas und
einem selbsterfundenen Fernhörapparat und bleibt so mit einigen Fasern dem
großen Leben draußen verhaftet, das er nicht lassen kann. Schließlich wird er
wieder kuriös: es treibt ihn fort auf neue Weltfahrt; er kommt nach Ägypten und
Arabien, bis er auf einer einsamen Insel im Weltmeer strandet und den Roman
einen zweiten Abschluß als Robinsonade finden läßt.

Das war nicht so sehr ein Zugeständnis an die uferlose Wellenlinie des Schel-
menromanes als vielmehr ein Ausdruck eigener Entwicklung und ein Zwang zur
Lebenswahrheit. Grimmelshausen selbst war bei der Theologie als letzter seiner
Wissenschaften nicht stehengeblieben. Die asketische Welle war Episode. Wenn wir
seinen Bildungsgang über das bisherige Ziel hinausführen, so sehen wir im Bücherstudium
eine neue Erweiterung der äußeren Weltkenntnis einsetzen; räumlich
durch Reisebeschreibungen, zeitlich durch Geschichtswerke. Die letzte Wendung
seiner Interessen führt endlich zum öffentlichen Leben und zur Politik.

Er mußte sich im Dienst der Kalenderschriftstellerei auf dem laufenden halten.
Im Juni 1668, lange vor Defoes Robinson, war in London ein verkappt satirisches
Buch von Henry Neville erschienen, das vom Schiffbruch auf einer unbewohnten
Insel erzählte: The Isle of Pines. Im selben Jahr bereits gaben mehrere deutsche
Übersetzungen von diesem Eiland Kunde. Auf diese Anregung hin erscheint 1669
mit dem sechsten Buch des „Simplicissimus" die erste deutsche Robinsonade, deren
Landschaftsschilderung außerdem auf eine holländische Beschreibung der Insel
Mauritius zurückgeht.

Von den fernen Ländern, die sein Held schildert, hat Grimmelshausen keins
betreten; Reisebeschreibungen mußten dem Erlebnishunger Ersatz geben. Eine gewisse
Berührung mit der großen Welt brachte das mondäne Kurleben der benachbarten
Renchtalbäder Griesbach und Peterstal, die nicht nur Gäste aus aller Welt,
sondern auch allerlei fahrendes Volk anzogen. Für Geschäftsreisen kann außer dem
dienstlichen Verhältnis zu Straßburg der Buchvertrieb Veranlassung gegeben haben
. Es ist kaum anzunehmen, daß eine so rege literarische Tätigkeit, wie sie
Grimmelshausen in Renchen entfaltete, ohne persönliche Berührung mit den Verlegern
durchführbar war. Straßburg, Frankfurt am Main, Leipzig, Nürnberg waren
die Städte, nach denen Fäden angeknüpft werden mußten, und Nürnberg war
es, wo sich in Wolfgang Eberhard Felßecker der unternehmende Buchhändler fand,

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