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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1972/0194
in Kehl ausgestreut und gefunden". In dieser „Schmähschrift" wurden scharfe, aber offenbar
nicht unberechtigte Vorwürfe gegen die Kehler Ausgabe erhoben, die sich insbesondere
auf technische Mängel und auf den Direktor Le Tellier beziehen. Dem Verfasser Lamy,
Factor bei Chanson und vordem Schriftsetzer bei der „Societe", bescheinigt Bettelheim,
„daß seine von großer Belesenheit zeugende Kritik der Kehler Voltaire-Ausgabe die eines
tüchtigen Fachmanns und nicht verächtlichen Polemikers ist". Die Texte waren nach Bettelheim
meist nach schlechten Nachdrucken, die handschriftlich verstümmelt und ungenau
waren, wiedergegeben, ja sogar Schriften anderer Autoren wurden fälschlicherweise aufgenommen
. Lamy wird in seiner harten Kritik gegen Le Tellier durch Klagen von Beaumarchais
bestätigt, daß dieser ihn der Gefahr aussetze, den gemeinen Betrügern und
Spekulanten der Verlegergilde beigezählt zu werden. Le Tellier nützte seine Vollmachten
auch Beaumarchais gegenüber so weit aus, daß er ohne dessen Befragung Bücher druckte,
die jenem Kummer bereiteten23. Das herrische Auftreten dieses Mannes, der als „Tyran de
Kehl" in die Stadtgeschichte einging, hatte zwar seit Anfang allen mit ihm beschäftigten
Behörden reichlich Verdruß bereitet, doch entschied Amtmann Strobel: „dem sei nun wie
ihm wolle, so ist dennoch richtig, daß dem Le Tellier und dem Unternehmen viele Nachteile
durch die Schrift entstanden, mithin der Urheber Strafe verdiene". Chanson, dessen
„liederreiche Name ein Leihname" war, wie der für ihn bestellte Zensor Rochebrune dem
Markgrafen mitteilte, verließ Kehl im September 1782 und entzog sich damit beizeiten
den ihn erwartenden Schwierigkeiten, die vom Entzug des Bürgerrechts und des Druckereiprivilegs
bis zum Haftbefehl reichten. Daß er sich verschiedene Male der Zensur entzogen
und „Dinge gegen Gott und die Religion" abgedruckt hatte, war ihm teuer zu stehen
gekommen. Und selbstverständlich wurde der Vorfall auch dem Lieutenant gcneral de
Police zu Paris, Mr. de Noir, und dem Kaiserlichen Reichshofrat zur Kenntnis gebracht.
Immerhin konnte nach Bezahlung seiner Verbindlichkeiten noch ein Rest des Vermögens
konfisziert werden, wie im August 1783 der fürstlichen Rentkammer mitgeteilt wurde.

Die deutsche Druckerei von J. G. Müller — Verlag der Expedition der gelehrten Zeitung

Da Chanson das Feld räumen mußte, fiel eine mögliche Konkurrenz in der kleinen Stadt
für Müller, ältern, weg, der 1781 als Herausgeber der „Oberrheinischen Mannigfaltigkeiten
" in Basel um Schutzaufnahme in Kehl nachgesucht hatte24. Zwar sollte über das
Oberamt Rötteln Auskunft über ihn eingeholt werden, doch drängte Müller auf eine
baldige Entscheidung, da er wegen der Herausgabe neuer Schriften einen Standort angeben
müsse, so daß ihm auf Vorschlag des Gutachters Gerstlacher eine Aufnahme auf
Probe gewährt wurde. Gerstlacher urteilte über Müllers „Periodische Schriften": „Sie
zeigen viel Kopf, Erfindungsgeist und Talente ihres Herausgebers." Das wird ihm übrigens
noch einmal viele Jahre später auch von vorderösterreichischer Seite in einem amtlichen
Bericht bestätigt. Wenn wir hier seinen Spuren nachgehen, betreten wir den Vorraum der
Großen Französischen Revolution, der prall mit den vielfältigen Bestrebungen der „Aufklärung
" angefüllt ist. Ihr fühlten sich alle Verleger in Kehl verpflichtet, und unter ihnen
nahm Beaumarchais allein schon wegen der Größe seines Betriebes eine Sonderstellung ein;
sicherlich auch auf Grund des Ranges seiner bedeutenden Autoren Voltaire und Rousseau,
deren Ruhm sich mit der Herausgabe ihrer Werke an seinen Namen heftete, und nicht
zuletzt auch wegen seiner eigenen Berühmtheit, so daß Müller lokalgeschichtlich in seinem
Schatten blieb. Wenn Kehl in zwei Jahren das zweihundertjährige Stadtjubiläum begeht,

23 Nach dem Willen von Beaumarchais sollten nur solche Werke herauskommen, die für die Menschheit
ehrenvoll und nützlich seien. Zur Auslastung der Arbeitskräfte wären auch andere gedruckt worden, wie
etwa das Buch von Mably, de la Maniere d'ecrire l'histoire, in dem auch Voltaire gekränkt wurde.
Gudin wurde zu einer Erwiderung veranlaßt: Supplement a la Manic-re d'ecrire l'histoire, ou Reponse
ä M. l'abbe de Mably, Kehl 1784. (Gudin, S. 321.)

24 Die Darstellung der amtlichen Beziehungen Müllers fußt auf den Akten des Bad. GLA (207/90, 207/95,
207/96).

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