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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
54. Jahresband.1974
Seite: 215
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Wenn jedoch die Rede von Frucht und Blüte nicht bloß metaphorischen
Wesens sein, wenn — im erweiterten Sinn des Zitats — wirklich eins
aus dem andern und beides aus demselben Stamm sich entwickelt haben
soll, dann muß die innere Logik und Gesetzmäßigkeit eben dieser
Entwicklung sich nachweisen lassen (aber nicht ohne im Vorübergehen
ihres Scheiterns zu gedenken, als ihre Früchte schließlich, nach niedergeschlagenem
Bauernkrieg, von den Siegern unter die Füße getreten
wurden).

Dabei spielt der von den Mystikern ungemein beförderte Gebrauch der
deutschen Sprache eine zentrale Rolle. Kaum je hat man mit ähnlicher
Anstrengung um das Sagen des Unsagbaren, das Äußern des Innern
gerungen; was als Neugewinn sprachlicher Möglichkeiten auch der
Verdeutschung, damit Popularisierung von Bibel und Theologie zugute
kam. Gottes Wort, das zu bewahren und zu deuten ein eifersüchtig
gehütetes Privileg derer war, die es zur Ideologie des Gehorsams und
des Leidens umgefälscht hatten, nämlich der untrennbar miteinander
verquickten geistlichen wie weltlichen Obrigkeit: jenes Wort wurde
zugänglich gemacht, profaniert, wurde „freigegeben, priesterlicher Hut
entrückt, (...) Allgemeingut, Element der Volksbildung" 2. Jetzt konnte
zumal mit der Hilfe unbotmäßiger Prediger, selbst der gemeine Mann die
heiligen Schriften unmittelbar und unzensiert sich aneignen, sich darüber
seine eigenen Gedanken machen; wobei ihm die überraschende Erkenntnis
entgegentrat, daß Lehre und Leben keineswegs zusammenstimmten,
ja sogar sich widersprachen. Beispielsweise stand da zu lesen, alle
Menschen seien frei und gleich geschaffen; konsequent und provokant
fragte eine Parole der Aufständischen: „Als Adam grub und Eva spann,
wo war denn da der Edelmann?" Und wie die Erinnerung an den Urzustand
faszinierte, in so erregter Zeit, auch die gleichfalls biblische
Verheißung des Endzustands als eines Gottesreichs, wo alles wieder gut
wäre; neue Welt, zweites Paradies schien unmittelbar bevorstehend,
wollte errichtet statt erwartet sein. Derart trieben Bibel und Theologie
jetzt öffentlich, außer- und antikirchlich um (breit gestreut auf neuen
Wegen: Volkspredigt der Bettelorden, Flugschriften im Buchdruck) —
von der Mystik freigesetzte Gärstoffe und Zündfunken der Rebellion.
Bezeichnend die Anklänge solcher Entwicklung und ihres Ursprungs
noch im ersten Artikel der „Feldordnung der fränkischen Bauern",
welcher verfügt, daß „das wort gottes, welchs ain speys der seien ist,

2 Kurt Ruh, Bonaventura deutsch. Ein Beitrag zur deutschen Franziskaner-Mystik und -Scholastik
( = Bibliotheca Germanica 7). Bern 1956, S. 25. — Vgl. auch: Hans Eggers, Deutsche Sprachgeschichte.
Bd. 2 (= Das Mittelhochdeutsche). 2. Aufl. Reinbek bei Hamburg 1966, S. 175—211.

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