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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
54. Jahresband.1974
Seite: 217
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Vermittlung nicht nur der biblischen Predigt, sondern auch der sakramentalen
Liturgie; denn was blieb von außen noch zu wünschen, wenn
die unio mystica, die Identifikation von Gott und Geschöpf einmal
erreicht war? In diesem Sinne haben die Mystiker, nolens et volens, die
häretischen Bewegungen besonders Süddeutschlands inspiriert — noch
die Täufer und Geißler, welch letztere, wie jene die Taufe, durch selbstauferlegte
Buße und selbsterteilte Absolution die Beichte verschmähten
(„daden daz mit eigen willen unde namen den babest unde di heilige
kirchen nit zu hilfe unde zu rade"5). Bezeugt wird das exstatische, unbeherrschte
und unbeherrschbare Flagellantentum gerade auch von oberrheinischen
Chronisten: „Dis han ich beschriben, als es zu Strosburg
ergangen ist. Und als es do was, alse was es ouch uf dem Rine in allen
Stetten"6. Abgedankt wurde die Kirche als Institution, nicht länger
schienen Lehre und Heil nur durch sie, mit und in ihr zu erlangen; das
mystisch Neue, via Häresie bis in den Bauernkrieg Fortwirkende ist die
Selbstrechtfertigung gegen das Gesetz aus der Sicherheit des Gewissens,
des Wissens um die keiner Zwischeninstanz bedürfende „Einheit des
Seelentums mit dem Weltgrund"7. „In diseme versinket der geluterte
verklerte geist in daz götteliche vinsternisse, in ein stille swigen und in
ein unbegriffenlicheme und unsprechenlicheme vereinen, und in diseme
insinkende wurt verlorn alles gelich und ungelich, und in diseme abe-
grunde verlüret der geist sich selber und enweis von Gotte noch von ime
selber noch gelich noch ungelich noch von hüte nüt, wann er ist gesunken
in Gottes einikeit und hat verlorn alle unterscheide"8. Solche innere
Erfahrung aber, die Tauler hier mitzuteilen sucht, durchschaut und entmachtet
alle äußere, verklagt und überführt sie der Unwahrheit;
betroffen, zerbrochen wird davon, ineins mit der Kirche, alles von ihr
Gestützte. „Ein Subjekt, das sich in Personalunion mit dem höchsten
Herrn dachte, ihn so zugleich im Jenseits absetzte, gab, wenn es damit
Ernst machte, einen äußerst schlechten Leibeigenen ab."9

„Sich vor dem Draußen blind machen und halten, ist schlecht. Besonders
wenn die umgebenden Dinge selber schlecht sind, falsch laufen. Das
Wort mystisch aber kommt von myein, die Augen schließen. Nur: vor
was wurden sie, wenisgtesn in der christlichen Mystik, geschlossen, vor
Unerträglichem rundum, vor Druck von oben, als käme er so weg?
Keinesfalls, die Mystiker, vom vierzehnten Jahrhundert ab, stammten

5 zit. nach: Friedrich-Wilhelm und Erika Wcntzlaff-Eggcbert, Deutsche Literatur im spaten Mittelalter
1250—1450. Bd. 2 (= Kirche). Reinbeck bei Hamburg 1971, S. 196—198 (= Nr. 64: Tilemann Elhen
von Wolf hagen); hier S. 196.

6 zit. nach: ebda., S. 199—202 (= Nr. 65: Fritsche Closener; hier S. 202. Vgl. auch Kommentar S. 48 f.

7 Ernst Bloch, Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs (= Gesamtausgabe
Bd. 14). Frankfurt/Main 1968, S. 93.

8 zit. nach: Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und
15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 9. Aufl. Stuttgart 1965, S. 317.

9 Bloch, a. a. O. S. 94.

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