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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
59. Jahresband.1979
Seite: 78
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einen jungen Burschen, den die freie Schweiz mehr lockte als das
neupreußische Frankfurt? Bei solchem Verlangen ließ man auch den
brieflichen Groll des Vaters über sich ergehen, der die moralisierende
Sentenz nicht unterdrücken konnte: Beim Befolgen meines Rates hättest
Du „Dir und uns manche Sorgen erspart".13 So war es eben: Die Alten
verlangten von den Jungen Härte, wollten sie aber doch lieber auf ebenen
Wegen sehen. Die gab es jedoch weder im wörtlichen noch übertragenen
Sinn in der Schweiz. Von der Ungewißheit über Weg und Steg, über
Arbeitsstelle und Unterkünfte einmal abgesehen, mußte der Wanderer
auch „viele Kontrollen durch Gendarmen und auch Geheimpolizisten"
über sich ergehen lassen; einmal notierte er: „3 Mal angehalten in 1
Stunde". Aber sonst war der freiheitsdurstige Deutsche geneigt, alles
rosiger zu sehen, so wenn er meinte: „In der Schweiz ist's... nicht wie in
den meisten Orten Deutschlands, sondern da ist jeder Arbeiter viel freier
und hat auch meistens seine Wohnung und Kost nicht beim Arbeitgeber."

Erst nach einigen Kreuz - und Querfahrten durch das Alpenland, wo ihn
wahrscheinlich mehr der Erlebnishunger als die Suche nach Arbeit geleitet
hatte, fand er eine längere Bleibe in Winterthur. Dort war seine
erste Stelle derart, „daß unter 10 Arbeitern nicht 1 geblieben wäre". Er
bekam 13 ljz Franken pro Woche, von denen nach den Ausgaben für ,Kost
und Logis' und nach den Abzügen für „Wäsche, Monatsbeiträge für den
D. (deutschen) Verein und Turnverein" nichts mehr übrig blieb". Erst
nach drei Monaten hatte er in der gleichen Stadt eine „bessere Stelle
ausgekundschaftet", wo er „gleich 21 Fr. pro Woche" bekam und „lange
nicht so (zu) schuften" brauchte. „Wir arbeiteten von morgens 7-12 und
nachmittags von 1 V2 bis 7 Uhr, also nicht einmal 11 Stunden."

Schon in den ersten Wochen seines Aufenthalts in Winterthur trat der
junge Wilhelm Engelberg in den „Deutschen Arbeiterverein" ein, in dem
„meistens Sachsen" waren. „Dort empfing ich meine erste politische
Schulung", schrieb der 78jährige Mann in seinen autobiographischen
Notizen und fuhr dann fort: „Die Brüder Franz und Wilhelm Seubert, die
Zigarrenfabrikation betrieben, waren hervorragende sozialdemokratische
Propagandisten; ersterer ein vorzüglicher Redner und von auswärtigen
Vereinen vielfach als solcher gewünscht. Später erfuhr ich, daß beide
Brüder nach Amerika auswanderten und dort ihre Existenz fanden und
politische Propaganda betrieben."14 Die beiden Brüder, führende Köpfe
im Deutschen Arbeiterverein zu Winterthur, zogen den kaum 19jährigen
Burschen aus dem badischen Kinzigtal sehr bald zu Funktionen heran;
schon nach einem Vierteljahr wurde er Schriftführer des Vereins und
hatte auch eine „Discussionsstunde" über „Zwecke und eigentliche
Aufgabe eines Bildungsvereins" einzuleiten. Politisch interessant war,

13 StAH, Mappe 3. Brief vom 9. 11. 1880.

14 StAH, Mappe 1. Lebenserinnerungen, S. 12.

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