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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
59. Jahresband.1979
Seite: 85
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geübt und zu militärischen Leistungen tüchtig gemacht werden. Ist jeder
Bürger Soldat, dann ist auch jeder Soldat Bürger, und kein Tyrann mehr
im Stande, das Volk zu vergewaltigen."30

Entlassen als Ordonnanz beim Generalkommando in Kassel, reiste der
Vierundzwanzigjährige zunächst nicht in seine Heimat nach Süden,
sondern in die Reichshauptstadt nach Norden. Bereits in den 80er Jahren
galt auch im Bewußtsein süddeutscher Handwerksgesellen Berlin als
Metropole des neudeutschen Reiches; seitdem dort bei den Reichstagswahlen
die Linksliberalen und Sozialdemokraten so viele Stimmen auf
sich vereinigten, konnte dieses Berlin nicht mehr als die Zitadelle des
militaristischen Stockpreußentums angesehen werden. Alles, was Freunde
über die Sehenswürdigkeiten dieser Stadt, über ihr Leben und Treiben,
über den witzigwendigen und maulflotten Menschenschlag dort zu
berichten wußten, war dazu angetan, jeden aufgeweckten Burschen zu
einem Besuch zu ermuntern, um „Eindrücke fürs Leben" zu erhalten, wie
es in einem Brief hieß. In diesem Geiste wurde der Berlin-Besuch Wilhelm
Engelbergs gleichsam der hauptstädtische Abschluß einer sechsjährigen
Abwesenheit von der heimischen Kleinstadt.

Einen großen Schatz an Lebens- und Arbeitserfahrungen brachte der
junge Mann mit nach Hause; sein politischer und kultureller Horizont
hatte sich erweitert, neue Maßstäbe waren ihm gesetzt, und Freunde fürs
Leben waren erworben. Er, der Flöten- und Violinspieler, ließ sich von
seinem Freund Heinrich Blank, dem Malergehilfen, anregen, in die
Konzerte der „größten Virtuosen unserer Zeit", des Deutschen Joseph
Joachim, des Spaniers Sarasate und des in Berlin niedergelassenen
Franzosen Emile Sauret zu gehen. Ein aufgeweckter Geist spricht aus
den Briefen, die Wilhelm Engelberg in der Fremde von Wanderkameraden
, Arbeitskollegen, Bekannten und Freunden erhielt. Manch einer von
ihnen, der mit schwerer Hand schrieb und mit der deutschen Rechtschreibung
gar arg auf Kriegsfuß stand, konnte dennoch seinen urwüchsigen
Humor herzhaft ausdrücken. Die Gefühls- und Bedürfnisskala der
Wandergesellen war recht variationsbreit; sie reichte von burschikoser
Renommage" bis zu fast pedantischer Bildungsbeflissenheit, von dreister
Sexualität bis zur Verliebtheit, wo der Himmel voller Geigen hängt oder

30 S. S. 13. W.E. las eine Auflage dieser Broschüre, die in ,.der Schweiz. Vereinsbuchdruckerei Höttingen-Zürich" also in
den 80er Jahren gedruckt wurde. Darum ist fast als sicher anzunehmen, daß er sie im Winterthurer Arbeiterverein
und noch vor seiner Militärzeit erworben hatte. Wie alle Broschüren, die ihm am Herzen lagen, hat er diese
strapazierfähig eingebunden.

31 Nachdem Wilhelm Engelberg zwei Flaschen Wein seinem hannoveranischen Freund Karl Ertinghausen geschickt
hatte, stattete dieser seinen Dank aufrecht barocke Weise ab: „Kerl, was machst Du für Geschichten, schickst mir da
ein paar Hinterlader, welche auch nicht von Pappdeckel sind, ich wußte erst gar nicht, was ich sagen sollte, wie der
Postkerl bei uns rinn kommt. Ich dachte im ersten Augenblick, Du hättest Dir einen kleinen Scherz machen wollen
und glaubte, da würde so ein Heidelberger Schwanz raus springen wie bei dem großen Fass Mode ist, aber als ich ein
Stock tiefer griff auwei und die beiden Buddels hervorlangte, da mußte ich unwillkürlich 3 mal trocken
runterschlucken und betete einen frommen Spruch so ungefähr, als wenn man so halb am Delirium tremens leidet
oder wie Du selbst sagst an Herzerweiterung...."

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