Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 519,m
Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
59. Jahresband.1979
Seite: 106
(PDF, 62 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1979/0108
aber das vertrat er mit Mannesmut in unzähligen Gesprächen, die er bei
jeder Gelegenheit führte. Alles, was ihn schon in jungen Jahren bewegte,
nahm jetzt ernstere Gestalt und größere Dimensionen an.

Als dann die Februarrevolution 1917 in Rußland ausbrach, da verspürte
Wilhelm Engelberg ein erstes Aufatmen. Im Mai schrieb er: „Interessant
ist aber das Verhältnis an der Ostfront, wie es die Soldaten in Briefen und
die Urlauber mündlich zu schildern wissen. Wenn dieses kameradschaftliche
Verhältnis' allmählich zum Waffenstillstand führt, wie dies der
russische Arbeiterrat fordert, dann wäre der erste Schritt zum Frieden
vollzogen." Er war begierig auf alles, was er aus den Feldpostbriefen über
Verbrüderungen und Tauschgeschäfte erfuhr, und machte sich entsprechende
Notizen.

Fast ausschließlich unter dem Friedensaspekt sah und begrüßte Wilhelm
Engelberg die Oktoberrevolution. Nach der Lektüre eines Leitartikels
der Freiburger sozialdemokratischen Zeitung „Die Volkswacht" schrieb
er am Weihnachtstag 1917 über die „Nimmersatten des Großkapitals",
über die Reichen, „von denen bekanntlich schon der große Nazarener
sagte, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in den
Himmel gehe". Es sei offensichtlich, daß die als Religionsfeinde
geschmähten Sozialisten und Bolschewiki mehr Religion bewiesen haben
als die Frommen Englands usw. Erfreulich sei, daß den russischen
Revolutionären und Gegnern der Monarchie gelungen ist, was selbst dem
Papst, dem sog. Statthalter Christi auf Erden, nicht gelang - den Frieden
herbeizuführen. „Merkwürdig, daß der liebe Gott nicht den .Statthalter'
in Rom als Friedensbringer beauftragte, sondern die ,ungläubigen'
Sozialisten Rußlands!"

Diese Weihnachtsbetrachtungen im Kriegs- und Revolutionsjahr 1917
waren bei Wilhelm Engelberg keine einmaligen Stimmungen, sondern
gehörten zu den Leitmotiven seines Denkens; ihn bekümmerte, ja quälte
die Diskrepanz zwischen dem offiziellen Bekenntnis zum Christentum
und der Grausamkeit der Kriegspolitik, zwischen der Ethik der Religion
und der Institution der Kirche. Das alles hat er im Großen und Kleinen
erlebt und durchlitten: die Dämonie der Macht!

Das Jahr 1918 stand für ihn im Zeichen einmal des persönlichen Kummers
über die schwere Verwundung und Beinamputation des Sohnes Julius,
zum andern empfand er den allgemeinen „Vertrauenszusammenbruch",
wie er es bezeichnete. Er selbst allerdings hatte in die Hohenzollern-
monarchie nie Vertrauen gesetzt, am allerwenigsten in Kaiser Wilhelm
IL, von dem er ein ganzes Repertoire von Beispielen diplomatischer
Dummheiten und großsprecherischer Redeblüten zu nennen wußte. Als
ihm auch noch ein Oberamtmann offiziell bedeutete, man wünsche zu
Kaisers Geburtstag einen ausführlichen und warmen Artikel, da notierte

106


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1979/0108