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Die Ortenau: Zeitschrift des Historischen Vereins für Mittelbaden
59. Jahresband.1979
Seite: 263
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„daß diese, so mich zum Narren machen sollten, meine Narren sein
mußten" (II/5) und „darum, damit ich diejenigen auch genug narrete, die
mich zum Narren zu haben vermeinten" (II/7). Er hält die zum Narren, die
ihn für einen Narren halten; hält sich selbst die Narrenmaske vors
Gesicht, um ihnen die Maske vom Narrengesicht zu nehmen. Er macht
die lächerlich, die über ihn lachen wollen, und macht sich lustig über sie.

So nimmt Simplicius die Narrenfreiheit in Anspruch, indem er sich
vornimmt, „alle Torheiten zu bereden und alle Eitelkeiten zu strafen,
wozu sich denn mein damaliger Stand trefflich schickte; kein Tischgenoß
war mir zu gut, ihm sein Laster zu verweisen und aufzurupfen, und wenn
sich einer fand, der sichs nicht gefallen ließ, so wurde er entweder noch
dazu von andern ausgelacht oder ihm von meinem Herrn vorgehalten,
daß sich kein Weiser über einen Narrn zu erzürnen pflege" (11/10). Es ist
dies die Freiheit des Hofnarren, als welcher Simplicius eben seinem
Herrn, dem Gubernator von Hanau, denn auch dient: das Recht, unterm
Schutz und Schirm der Narrheit die Wahrheit sagen zu dürfen; wobei die
eine von der anderen nicht immer leicht zu unterscheiden ist. „Ich halte
ihn für einen Narrn", sagt der Gubernator, „weil er jedem die Wahrheit
so ungescheut sagt, hingegen sind seine Diskurse so beschaffen, daß
solche keinem Narrn zustehen" (11/13).

Es lohnt sich sicher, hier ein wenig zu verweilen. Denn indem Simplicius
zum Narren wird, indem er sein Publikum zum Narren hält und macht,
schließt er und schließt es sich der großen närrischen Prozession an,
welche die Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts unübersehbar
durchzieht. Zuspruch und Zulauf erhält sie genug - etwa aus dem
„Narrenschiff' von Sebastian Brant, der „Narrenbeschwörung" von
Thomas Murner, dem „Narrengießen" von Jörg Wickram, dem „Narrenfressen
" und dem „Narrenschneiden" von Hans Sachs, dem „Narrenspital
" von Johann Beer, dem „Narrennest" von Abraham a Santa Clara
- genug.

Es scheint also, daß in dieser Zeit die Narren ganz besonders gut gedeihen
(und zwar so gut, daß die erwähnten Werke mit ihnen kaum zu Rande
kommen: schon Sebastian Brant hat über 100 verschiedene Arten
namhaft gemacht, über die dann Johann Geiler von Kaysersberg im
Straßburger Münster einen Zyklus von fast 150 Predigten hielt, die er
dann deutsch und lateinisch drucken ließ; und auch dies ist nur ein
Bruchteil vom Ganzen). Wenn aber doch der als Narr gilt, dessen Denken
und Handeln von den herkömmlichen und herrschenden Normen abweicht
- dann darf das massierte Auftreten solcher sogenannter Narren
als Anzeichen dafür gelten, daß eben jene Normen selber ins Wanken
geraten sind; der Narr ist Leitfigur in Zeiten des Umbruchs und des
Übergangs, in denen keiner recht weiß, was gilt.

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